Muskelspiele für Prozente

Mehrere tausend Beschäftigte des öffentlichen Dienstes beteiligten sich gestern am Warnstreik. Die Gewerkschaften wollen damit Druck auf den Senat bei den kommenden Tarifverhandlungen erhöhen

von RICHARD ROTHER

Für Renate Herraneh war der gestrige Gang an den Potsdamer Platz eine Selbstverständlichkeit. „Immer mehr Arbeit, immer weniger Geld“, brachte die Erzieherin einer Tiergartener Kita ihren Unmut auf den Punkt. Sogar die allermeisten betroffenen Eltern hätten Verständnis für den Warnstreik gezeigt. Die Erzieherinnen müssten schließlich immer größere Gruppen betreuen. „Das geht zu Lasten der Kinder.“

Neben Herraneh demonstrierten gestern rund 3.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gegen die geplanten Gehaltseinbußen. Die Protestaktion am Potsdamer Platz war damit Höhepunkt des gestrigen Warnstreiks, mit dem die Gewerkschaften den Druck auf den Senat in den laufenden Tarifverhandlungen erhöhen wollten. Die Tarifverhandlungen zwischen dem rot-roten Senat und den Gewerkschaften sind zurzeit ausgesetzt, ein neuer Verhandlungstermin steht noch nicht fest. Die separaten Verhandlungen für Berlin waren notwendig geworden, nachdem Berlin im Januar aus den kommunalen Arbeitgeberverbänden ausgestiegen war, um bundesweit geltende Lohnsteigerungen nicht mittragen zu müssen.

An dem gestrigen Warnstreik – dem zweiten während der laufenden Tarifverhandlungen – beteiligten sich mehrere tausend Menschen. Betroffen waren Bürgerämter und Meldestellen, die Werkstätten von Polizei und Feuerwehr und die Verkehrsüberwachung. Nach Angaben der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ruhte zudem an zwanzig Schulen, dreißig Prozent aller Berliner Kindertagesstätten und fünf Hochschulen zeitweise die Arbeit.

An Grund-, Sonder- und Europaschulen sowie Oberstufenzentren in Berlin streikten zwischen 7.45 und 8.45 Uhr rund 600 Lehrkräfte, 1.000 Erzieher und 1.400 Beschäftigte. Ein großer Teil der Kindertagesstätten in der Hauptstadt war laut den Angaben von 6 bis 11 Uhr geschlossen.

Peter Fleischmann, Sprecher von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), kritisierte die Warnstreiks als „wenig sinnvolle Muskelspiele“ der Gewerkschaften. Wegen seiner Haushaltsnotlage müsse der Senat 500 Millionen Euro bei den Personalkosten sparen. „Da hilft nur der rationale Diskurs der Verantwortlichen. Wir müssen die Probleme lösen.“

Auch die Erzieherin Renate Herraneh und ihre Kolleginnen sahen gestern, „dass die Stadt pleite ist“. Dass sie dafür bluten sollen, finden sie ungerecht. Allerdings wären sie sogar bereit, Gehaltseinbußen hinzunehmen – „wenn unsere Jobs dann sicher sind“. Der Senat müsse jetzt endlich ein verhandelbares Angebot auf den Tisch legen.