bedrohlich belastet von EUGEN EGNER
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Es begann damit, dass ich mich am Abend mit einem fremden Flakon antraf, der vor mir auf dem Tische stand und mit Donnerstimme rief: „Siehe, ich belaste dich!“ – „O Gott, es belastet mich!“, rief ich sowohl belastet als auch bestürzt aus. Zu jener Zeit konnte ich aber keine weiteren Belastungen gebrauchen, denn ich war schon völlig überlastet. Also ging es damit weiter, dass ich einen Arzt aufsuchte. Er sollte mir etwas verschreiben, das mich entlastete.

Vorsichtig begann ich, dem Arzt von meiner Überlastung zu erzählen, doch er unterbrach mich roh: „Sind Sie bald fertig? Darf ich vielleicht auch mal was sagen? Also, Ihnen glaub ich nicht, dass Sie überlastet sind! Ich, ich bin überlastet! Man macht, man tut – und Sie? Was kann Ihnen schon fehlen? Ihr Hals gefälllt mir übrigens gar nicht, ich glaube, der Kehlkopf muss raus.“ – „Nehmen Sie Ihre Hand aus meinem Mund! Diese Mehrbelastung ertrage ich nicht!“, gurgelte ich. „Ach was“, sagte der Arzt, „Sie und Belastung! Was tun Sie denn den ganzen Tag lang? Zu Hause sitzen, Schumann-Lieder hören, Schnaps trinken und flennen …“

Ich erfuhr beiläufig, dass auch mein Brustbein rausmusste. Zum Schluss hieß es, was mir am meisten fehle, sei geregelte Arbeit. Daher wurde ich ans Arbeitsamt überwiesen. Der zuständige Stellenvermittler schickte mich zu einer Firma, die einen tüchtigen Mitarbeiter suchte. Ich meldete mich bei der Chefin, einer dicken, ordinären Person. „Sind Sie denn auch belastbar?“, fragte sie, und schon steckte sie mir die Hand in den Mund: „Ich bin ja kein Arzt, aber ich glaube, ihre Zunge muss raus.“

Die Firma bestand eigentlich nur aus einem hölzernen Treppenhaus, das ich von oben bis unten reinigen musste. Handfeger und Schaufel wurden vom Staat gestellt. Seufzend begann ich, das von Staub übersäte Treppenhaus Stufe für Stufe zu säubern. Als ich mit dem Treppenhaus fertig war, beauftragte mich die Chefin, ein neues Produkt zu entwickeln. „Es müsste etwas recht Bedrohliches sein“, schwärmte sie, „denn so etwas wollen die Leute. Bis heute Abend bitte die Rezeptur und das Markenzeichen!“ Ich nahm das Zeug vom Textbeginn, das mich so belastet hatte, und nannte es dummdreist „Bedrohlium“, stellte der Chefin einen Flakon auf den Schreibtisch und ging heim.

Als ich dann am nächsten Morgen damit beschäftigt war, das Treppenhaus von oben bis unten zu reinigen, hörte ich aus dem Büro der Chefin zwei Stimmen. Die erste, in der ich die des Flakons erkannte, dröhnte: „Siehe, ich bedrohe dich!“, die andere gehörte meiner Brotherrin, welche angstvoll kreischte: „O Gott, es bedroht mich!“

Vor Schreck verfehlte ich eine Stufe, trat auf die Schaufel und verhedderte mich im Handfeger – ich stürzte. Dabei riss ich mit dem Treppenhaus praktisch die ganze Firma um. Alles zerbarst und zerschellte, auch die Chefin und der Flakon. Es wurden große Mengen „Bedrohlium“ freigesetzt. Eine Gefährdung der Bevölkerung hat zu keinem Zeitpunkt bestanden, aber so etwas belastet einen ja doch.