schröders rücktritt
: Die Basis als letzte Reißleine

Es braucht Mut, eine Entscheidung zu treffen, die – vorhersehbar – sowohl im Licht historischer Erfahrungen als auch im Blick auf aktuelle Herausforderungen kritisiert werden wird. Gerhard Schröder hat diesen Mut bewiesen. Man muss ihn nicht darüber informieren, dass die SPD keine guten Erfahrungen mit einer Arbeitsteilung zwischen Kanzleramt und Parteizentrale gemacht hat. Das weiß er. Natürlich weiß er auch, dass ein Wechsel an der SPD-Spitze von einer verärgerten Bevölkerung nicht als Befreiungsschlag gewertet wird. Wenn er jetzt trotzdem sein Amt zur Verfügung stellt, dann muss es dafür gute Gründe geben. Es gibt sie.

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Der Handlungsspielraum einer Regierung ist derzeit nicht groß. Das lässt sich auch am skurrilen Herumgehampele der Opposition ablesen. Wer Stimmen gewinnen will, braucht deshalb glaubwürdige Anhänger. Also eine Basis. Was für ein altmodischer Begriff! Oder etwa nicht? Die Erkenntnis, darauf nicht verzichten zu können, scheint antizyklisch zu sein. Die Volksparteien alten Zuschnitts gehören doch der Vergangenheit an. Es geht nur noch um Personen, nicht mehr um Programme. So die Analysen moderner Politologen.

Von wegen. Es ist ironisch, dass Schröder ausgerechnet mit seinem Rücktritt erstmals zugibt, auf genau jene Basis angewiesen zu sein, die er selbst lange selbstherrlich vernachlässigt hat. Offenbar ist der Kanzler lernfähig. Spätestens wenn sich SPD-Aktivisten nicht mehr aus der Deckung wagen, ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem die Reißleine gezogen werden muss. Franz Müntefering ist eine sehr stabile Reißleine. Uneitel, solide – und sozialdemokratisch. Also all das, wofür das öffentliche Bild von Schröder nicht steht.

Ja, der hat mit seinem Schritt eingestanden, dass ein Zeichen der Korrektur unausweichlich war. Aber was wäre denn von jemandem zu halten, der die Notwendigkeit dafür nicht einmal mehr erkennt? Der SPD-Chef hat in höchster Not einen Rettungsversuch unternommen. Wem fällt eine bessere Lösung ein? Etwa die Entlassung von Verkehrsminister Manfred Stolpe? Wie albern. Schröder hat übrigens den Job des Parteivorsitzenden seinerzeit wahrlich nicht haben wollen. Sein Vorgänger erweist der SPD nicht einmal jetzt den Dienst, ein einziges Mal den Mund zu halten. Gestern hatte Oskar Lafontaine einen Auftritt bei Maischberger. Manchmal ist man Gerhard Schröder für seine arrogant wirkende Zurückhaltung richtig dankbar.