Schröder macht halblang

Bundeskanzler Gerhard Schröder zieht aus der anhaltenden Talfahrt der SPD Konsequenzen: Er gibt den Parteivorsitz an Fraktionschef Franz Müntefering ab. Auch Generalsekretär Olaf Scholz hört auf

„Das ist der Anfang vom Ende des Kanzlers und dieser Regierung“ (Angela Merkel)

BERLIN taz ■ Gerhard Schröder hat gestern Geschichte geschrieben. Als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gab er mitten in seiner Amtszeit einen Teil seiner politischen Macht ab und stellte seine Position als Parteivorsitzender zur Verfügung. Schon Ende März soll Franz Müntefering auf einem SPD-Sonderparteitag zum Nachfolger Schröders gewählt werden. Der 64-jährige Müntefering übernimmt damit eine Doppelrolle als Partei- und Fraktionsvorsitzender. Im Zuge des Führungswechsels bei der SPD wird auch der glücklose Generalsekretär Olaf Scholz abgelöst.

Auf einer überraschend einberufenen Pressekonferenz in Berlin erklärte Schröder, er werde sich künftig „auf die Arbeit als Bundeskanzler und Regierungschef konzentrieren“. Einen Autoritätsverlust durch seinen Rücktritt als Parteichef befürchtet er nicht, betonte Schröder. Mit Müntefering, den er selbst als Nachfolger vorgeschlagen habe, verbinde ihn „nahtlose Übereinstimmung, was die Notwendigkeiten und die Inhalte des Reformprozesses angeht“.

Müntefering kündigte an, man werde „eine Politik aus einem Guss“ betreiben, um bei den Wählern „Schritt für Schritt Vertrauen zurückzugewinnen“.

Schröder hatte bei der Begründung seiner Entscheidung „Vermittlungsschwierigkeiten“ bei der Umsetzung der „objektiv notwendigen“ Reformen eingeräumt. Auf den Parteivorsitz verzichte er nur „ungern“. Als wichtigstes Argument für seinen Rücktritt führte Schröder Zeitmangel an. Indirekt räumte er ein, dass ihn die Doppelbelastung überfordert habe. Für den „Vermittlungsprozess nach innen“, also in der SPD, habe er wegen seiner zahlreichen Verpflichtungen als Regierungschef nicht das Ausmaß an Zeit, „wie es in dieser gewiss schwierigen Situation nötig, wünschenswert und angemessen ist“.

In den letzten Wochen war in der SPD zunehmend Unmut über die Parteiarbeit von Schröder und Generalsekretär Scholz laut geworden. Wie das Umfrageinstitut Infratest-dimap gestern mitteilte, würden nur noch 24 Prozent der Bundesbürger für die SPD stimmen, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre.

Während zahlreiche SPD-Politiker in dem angekündigten Führungswechsel eine Chance zum „Neuanfang“ erkennen wollten, sieht die Union den „Anfang vom Ende“ der rot-grünen Regierung gekommen.

„Das Land braucht keinen neuen SPD-Vorsitzenden“, sagte CDU-Chefin Angela Merkel, „sondern eine starke Regierung. Die gibt es seit dem heutigen Tage nicht mehr.“ Schröder befinde sich nun „in der Hand“ des designierten Partei- und Fraktionschefs Müntefering.

„Vorsitzender der SPD – das ist das schönste Amt neben dem Papst“ (Franz Müntefering)

Der frühere Kanzlerkandidat und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber nannte Schröder einen „Kanzler auf Abruf“. Eigentlich müsse Schröder nun auch als Bundeskanzler zurücktreten, sagte er. „Wer seine Partei nicht überzeugen kann, kann auch die Bevölkerung nicht überzeugen.“

Auch FDP-Chef Guido Westerwelle ließ es sich nicht nehmen, seine Forderung nach Neuwahlen zu wiederholen. Müntefering sei „kein Gestalter der Zukunft, sondern ein Verwalter der Vergangenheit“. Eine Einschätzung, der die SPD-Spitzenleute naturgemäß widersprachen.

Die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) etwa meinte, der Wechsel im Parteivorsitz werde „der SPD und ihrer Politik gut tun“. Die Sprecherin der SPD-Linken Andrea Nahles hofft auf eine „Stabilisierung“ von Regierung und Partei. Sie versprach Müntefering ihre Unterstützung.

Die Grünen kommentierten den Rücktritt Schröders als SPD-Chef zurückhaltend. Es handele sich um „eine Entscheidung innerhalb der SPD“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt.

Über die nun getroffenen Personalentscheidungen habe er bereits seit einigen Wochen mit Müntefering beraten, sagte Schröder. Dass nichts davon an die Öffentlichkeit gelangte, wertete er als Beweis für das gute Vertrauensverhältnis des neuen Führungsduos.

„Es gibt Situationen, in denen es einen Zwang zur Teilung gibt“ (Gerhard Schröder)

Dass auch Generalsekretär Scholz sein Amt zur Verfügung stellt, teilten Müntefering und Schröder gestern erst auf Nachfrage von Journalisten mit. Nach Angaben Münteferings hat Scholz seinen Rücktritt angeboten, nachdem ihm Schröder seinen Entschluss mitgeteilt hatte. Der Kanzler nannte Scholz’ Entscheidung „konsequent“. Bei seiner Wiederwahl auf dem SPD-Parteitag im November hatte Scholz nur 52,6 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten. Das Vorschlagsrecht für den Scholz-Nachfolger hat der künftige Parteichef. Müntefering erklärte: „Ich weiß, wer es werden soll, und ich glaube, ich weiß auch, wer es werden wird.“ Den Namen wird Müntefering wahrscheinlich heute dem SPD-Vorstand in einer Sondersitzung nennen.

Nur über das Schicksal seiner Minister bestimmt weiterhin der Kanzler. Schröder deutete gestern erstmals an, dass es eine Kabinettsumbildung geben könnte. Jeder Minister bekomme „die Chance“, sich an der Modernisierung Deutschlands zu beteiligen, unterstrich Schröder. Die Kabinettsarbeit müsse aber gestrafft, inhaltliche und kommunikative Disziplin müssten verstärkt werden. „Wo immer das nicht vorhanden ist, wird zu handeln sein.“ LUKAS WALLRAFF

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