Vorwärts ins Ungewisse

Die US-Militärs verbreiten Optimismus: Nach Tagen des vermeintlichen Stillstands stehe jetzt der Marsch nach Bagdad unmittelbar bevor

„Der Dolch ist auf das Herz des Regimes gerichtet“

von ERIC CHAUVISTRÉ

Es wurde Zeit für ein paar Meldungen über große Erfolge der US-Truppen. In diesem Krieg, der militärisch schon entschieden war, bevor er begonnen hatte, geht es für die US-Regierung mehr als je zuvor darum, die politischen und psychologischen Auswirkungen zu kontrollieren. Doch in den vergangenen Tagen schien das Pentagon nicht einmal seinen eigenen Apparat unter Kontrolle zu haben.

Unterstützung kam zunächst einmal vom obersten Kriegsherrn. US-Präsident George W. Bush habe dem Oberkommanierenden am Golf, General Tommy Franks, freie Hand gegeben, Bagdad anzugreifen. Wann auch immer Franks es für richtig halte, so ließ die US-Regierung am Dienstag verbreiten, könne der Centcom-Chef in die Hauptstadt vorrücken. Ein massiver Angriff stehe „unmittelbar“ bevor und die kommenden Tage würden entscheidend sein, hieß es in den noch weniger offiziellen Äußerungen, die kaum weniger gezielt gestreut worden sein dürften.

Spekulationen mussten ausgeräumt werden. Zum Beispiel über die Frage, ob die US-Truppen mit dem Angriff auf die Hauptstadt noch einige Wochen warten, bis die Verstärkung Irak erreicht hat. Die US-Führung stand vor der Entscheidung: entweder wochenlang als gescheiterte Militärmacht in der Wüste zu stehen oder aber die Fünf-Millionen-Einwohner-Stadt Bagdad anzugreifen, verbunden mit den dann wahrscheinlichen vielen Toten, sowohl unter den amerikanischen Soldaten als auch unter den Bewohnern der Hauptstadt.

Jetzt scheint die Entscheidung gefallen. Und schon gestern durfte General Vincent Brooks bei der routinemäßigen Pressekonferenz im Centcom-Hauptquartier in Katar die gewünschten Erfolge vermelden. US-Truppen hätten die Bagdad-Division der Republikanischen Garden bei der Stadt Kut „vernichtend geschlagen“, sagte Brooks. „Der Dolch ist ganz klar auf das Herz des Regimes gerichtet“, triumphierte der US-General in der blumigen Sprache seiner irakischen Counterparts.

Ähnliche Erfolge aus Sicht der US-Militärs wurden auch aus der Stadt Kerbela gemeldet. Ob die irakischen Soldaten durch das Dauerbombardement und den Beschuss durch Panzer, Artillerie und tief fliegende AC-130-Flugzeuge der vergangenen Tage massenhaft getötet wurden oder ob sich die irakischen Einheiten aufgelöst haben, war gestern nicht klar. Auch gestern gab es wieder Berichte, dass sich einige Soldaten schon in die Hauptstadt zurückgezogen haben.

Die Hoheit über die Schlagzeilen hat das Pentagon damit zurückerobert. Die ständigen Fragen, ob es denn nun eine „Pause in der Operation“ geben werde –während weitere Truppen aus Texas und Deutschland eingeflogen werden – wird es zunächst einmal nicht mehr geben. Der militärische Erfolg der amerikanisch-britischen Offensive ist wieder in Kilometern messbar.

Das machte den Raum frei für ganz andere Nachrichten. Solche von tatsächlichen und potenziellen irakischen Selbstmordattentätern, die den Soldaten im Irak jedes Gefühl der Sicherheit nehmen, da auch jeder zivil gekleidete Iraker nun eine tödlich Gefahr darstellt. Aber auch Berichte über getötete Kinder und andere unbewaffnete Iraker, die nicht nur die Motivation der Truppen beschädigen dürften, sondern vor allem die internationale Kritik an diesem Krieg steigen lassen würden. Und schließlich wurde die nachrichtenarme Zeit auch noch mit Berichten über heftigen Streit innerhalb des Pentagons gefüllt.

Mit jedem Kilometer, den die US-Truppen näher an die Hauptstadt heranrücken, so die Hoffnung der Militärplaner, wird die aussichtslose Lage des Regimes offensichtlicher. Die Mehrzahl der Iraker würde sich dann gegen die alten Strukturen stellen. Desertionen unter den irakischen Truppen würden zunehmen – eine Hoffnung, die auch schon vor Beginn des Krieges die Planung bestimmte.

Eine Strategie, die aufgehen, die aber auch in einem Desaster enden kann. Denn die Aufstellung der Republikanischen Garden südlich von Bagdad war Bestandteil der konventionellen Kriegsführung, in der das irakische Militär den US-Streikräften unterlegen ist. Eine Massierung von Truppen im unbebauten Gelände stellt ein perfektes Ziel für Luftangriffe dar. Wenn die US-Truppen aber erst einmal in Bagdad sind, fängt ein anderer Krieg an. Korrespondenten berichten schon von Barrieren, von Schutzwällen und von Soldaten, die in der Stadt Waffen eingraben. Der Vormarsch der US-Truppen, so scheint es, führt direkt in einen Häuserkampf von ungewisser Dauer.