Poröses Meisterschafts-Puzzle

Bayer Leverkusen muss nach dem 1:2 gegen Abstiegskandidat seine Meisterträume begraben. Die erschreckenden Mängel im Zweikampfverhalten und Torschuss sorgen für allgemeine Ratlosigkeit

AUS LEVERKUSEN ERIK EGGERS

Zu den Geheimnissen des Fußballs gehört, so lautet eine der zahllosen Binsenwahrheiten dieser Sportart, dass sich der Erfolg aus vielen kleinen Dingen zusammensetzt. Es ist wie ein großes Puzzle, wie ein fragiles Mosaik. Am Samstag Nachmittag wurde deutlich, dass das Bild von einer ambitionierten Spitzenmannschaft, das in der Hinserie von Bayer Leverkusen gezeichnet wurde, nicht stimmig ist. Wenn man so will: Die Dehnungsfugen, die im Idealfall die Einzelteile des Gesamtgebildes verbinden, haben sich als zu porös erwiesen. Dem Abstiegskandidaten aus Frankfurt war es jedenfalls ein Leichtes, das Leverkusener Mosaik zu zersprengen. Am Ende stand mit dem 1:2 (0:1) die zweite Heim-Niederlage hintereinander. Schwerer aber wiegt die Ratlosigkeit, die ein erfahrener Spieler wie Carsten Ramelow vermittelt. „Ich weiß nicht, was mit uns los ist“, sagte der Nationalspieler nach dem Schlusspfiff.

Auch Klaus Augenthaler fehlten ein bisschen die Worte, das Auseinanderbröseln seiner Elf zu beschreiben. Dass es ausgerechnet der vor drei Wochen von Leverkusen an die Eintracht ausgeliehene Ingo Hertzsch war, der in der 20. Minute die Frankfurter Führung erzielte, war für den Bayer-Trainer nur zweitrangig. Er kritisierte vor allem die mangelnde Einstellung seines Teams. „Die Frankfurter haben gefightet“, sagte Augenthaler beeindruckt, um hinterher zu schieben: „Das habe ich bei unserer Mannschaft vermisst: Diese absolute Hingabe.“ Das war noch milde und sehr vornehm formuliert, hatten sich doch Szenen abgespielt, die bei einem Trainer mit seiner Vita ein beängstigendes Anschwellen des Blutdrucks zur Folge hat. Nicht nur, dass die bulgarische Sturmspitze Dimitar Berbatov in den ersten 20 Minuten erneut Chancen für zwei Spiele versiebte und so die eigentlich gute Startphase des Gastgebers verpuffte. Das ist Augenthaler schon fast gewohnt. Nein, für seine zahlreichen Wutanfälle an der Seitenlinie sorgten vor allem die lässigen Aktionen seiner Akteure.

So wie in jenem Moment, den man als symptomatisch bezeichnen kann für das ganze Auftreten beider Teams: In der 33. Minute segelt viel zu weit geschlagene Flanke von links über Leverkusens Diego Placente und dem Frankfurter Du-Ri Cha Richtung Außenlinie. Der Ball scheint verloren, aber Cha setzt nach und erreicht tatsächlich noch das Spielgerät. Der argentinische Außenverteidiger hingegen trabt lässig hinterher. Zwar gewinnt Placente am Ende diesen Zweikampf, weil der pfeilschnelle Cha fast in die Bande fliegt. Aber die Metapher dieses Duells ist doch deutlich: Die Frankfurter wollen unbedingt, sie rennen, sie kämpfen. Die Leverkusener hingegen wissen nicht so recht, ob sie wirklich Fußball spielen möchten.

Die Zuschauer jedenfalls quittierten diese Miniatur mit den ersten Pfiffen. Gegen das eigene Team. „Eine Unverschämtheit, eine Zumutung“, nannte Geschäftsführer Reiner Calmund später diese Augenblicke und findet, dass die Mannschaft gespielt hat „wie ein Abstiegskandidat, ohne Feuer, ohne Leidenschaft“. Ob sein nachfolgendes Donnerwetter in der Kabine für das nächste Auswärtsspiel in Hannover helfen wird, ist unwahrscheinlich.

Schließlich ist nicht nur „vorn einfach der Wurm drin“, wie Ramelow diagnostiziert. Erschreckend und rätselhaft ist ebenfalls das Zweikampfverhalten der früher oft gerühmten Abwehr. Das betrifft speziell Kapitän Jens Nowotny, der nicht nur bei dem ersten Gegentor durch Hertzsch einen Schritt zu spät kam, sondern sich auch bei dem entscheidenden Kopfball von Amanatidis zum 1:2 (77.) düpieren ließ. Die „beste Innenverteidigung der Welt“, wie sie Calmund vor zwei Jahren noch nannte, hat jedenfalls ihren Nimbus der Unverwundbarkeit verloren. „Auch ein Lucio macht Fehler, wenn er unter Druck gerät“ – diese Aussage von Amanatidis nach dem Spiel sagt eigentlich alles.

Vielleicht ist auch diese Erkenntnis verantwortlich dafür, dass sich ein ambitionierter Spieler wie Ramelow nun verabschiedet hat vom Titelkampf. „Ich guck‘ nicht mehr nach Bremen, das ist vorbei“, sagt der 29-Jährige mit Blick auf die zehn Punkte Abstand zum Tabellenführer. „Die Woche konzentriert arbeiten“, so lautet die Zielsetzung Klaus Augenthalers. Auf die Frage, ob er etwas zum Titel sagen wolle, antwortete er barsch „Nein!“. Wenn jemand in Leverkusen von der Meisterschaft geträumt haben sollte, ist er spätestens in diesem Moment aufgewacht.