Monsieur Godard, you are so far

Mit der Reihe „Axensprung“ erinnert das Metropolis an den Traum eines Kinos, das auf die Produktionszwänge pfeift

Der abweichende Blick zeigt, was sonst unsichtbar bleiben würde

von Daniel Wiese

Die meisten Filme werden nie gedreht, und von denen, die gedreht werden, kommen die wenigsten ins reguläre Kinoprogramm. Wenn überhaupt, laufen sie mit etwas Glück auf Festivals und in kleinen Off-Kinos, um dann für immer in der Versenkung zu verschwinden.

Das ist nicht immer schade, manchmal aber schon, wie die derzeit im Kino Metropolis laufende Reihe „Axensprung“ zeigt. Ein Achsenprung ist eigentlich ein Fehler des Kameramanns, der dazu führt, dass die Personen auf der Leinwand vertauscht erscheinen. Die Ordnung der Bilder kommt so durcheinander, aber wie in jedem Fehler liegt auch im Achsensprung eine produktive Kraft. Der abweichende Blick zeigt, was sonst unsichtbar bleiben würde.

Axensprung heißt auch ein Film des Hamburger Filmemacher Christian Bau, der zugleich eine Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft ist. Bau hat für seinen Film alte Freunde besucht, die er aus der Zeit kennt, in der sie zusammen „das andere Kino“ erfanden. Es war der Traum eines Kinos, das nicht den Produktionsbedingungen der Filmindustrie unterworfen wäre. Axensprung dokumentiert diesen Traum mit eindrucksvollem Archivmaterial. Und er zeigt anhand von Interviews, was aus den Leuten, die ihn träumten, geworden ist.

Manche von ihnen wie die Dokumentarfilmerin Claudia Richarz (Abnehmen in Essen) sind zum Fernsehen gegangen, wo sie überraschenderweise Produzenten fanden. Andere haben Produktionsgesellschaften gegründet, mit denen sie an die Börse gingen und für kurze Zeit sehr reich wurden, bevor der große Crash kam. Wieder andere laufen heute durch die aufgegebenen Räume der Londoner Filmproduktion Cinema Action, die für sie einmal das Paradies war, und reden sich in Rage. „Wo ist das deutsche Bild?“, fragt da einer hitzig, und er wiederholt diese Worte oft. Man merkt, wie es in ihm arbeitet. So viel hätte noch getan werden müssen, und nun ist alles vorbei.

„Monsieur Godard, you are so far“, sinniert am Ende des Films der ehemalige RAF-Mann Thorwald Proll, auch er mit Kontakten zur Hamburger Filmszene. Der Seufzer bezieht sich vordergründig auf den legendären Besuch von Jean-Luc Godard in Hamburg, wo er einen Dokumentarfilm drehen wollte. Er verweist aber auch auf die uneingelösten Versprechen der Vergangenheit.

Und doch ist Axensprung kein resignativer Film. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Christian Bau als hellwacher Chronist die Veränderungen verfolgt, ohne alten Zeiten nachzutrauern. „Wieso auch, die Leute machen ja weiter“, sagt er. Und ist dafür selbst das beste Beispiel mit seinem Produktionsbüro Die Thede in Altona, in dem er die Tradition des gleichnamigen Altonaer Filmkollektivs fortführt.

Genau das ist auch das Schöne an der Filmreihe im Metropolis: Sie zeigt, was war, aber auch, wie es weitergegangen ist. Nach Axensprung läuft heute zunächst Der kleine Godard, 1978 von Hellmuth Costard als Super-8-Film gedreht. Costard hatte Godard nach Hamburg eingeladen, wo der einen Film über das Thema machen wollte: „Ist es möglich, in Deutschland Filme zu drehen?“ Eine sehr lustige Szene in Der kleine Godard ist, wie Costard zusammen mit seinem berühmten Gast zum Norddeutschen Rundfunk geht. Sie werden herein gebeten und sitzen auf einem Ledersofa dem Redakteur gegenüber, und der Redakteur sagt: Godard, den Namen habe er schon mal gehört, „aber mir ist nicht ganz klar, was Sie eigentlich machen wollen“.

Wie Der kleine Godard stammen die meisten Filme der Reihe von Leuten, die irgendwo in Christian Baus Axensprung auftauchen. Manchmal wundert man sich, wer in diesen Filmen so alles mitspielt. In Bearskin – Ausgespielt etwa, bei dessen Produktion auch das Cinema Action beteiligt war, tritt der leibhaftige Tom Waits auf; in Dandy at the Ocean von Peter Sempel kann man Blixa Bargeld bewundern, den Sänger der Einstürzenden Neubauten. Bargeld spielt den Titelhelden Dandy, der mit großen Augen von Ägypten über Japan bis nach Indien reist und dabei einiges über die elementaren Dinge des Lebens erfährt.

Was von dem Blick, der das „andere Kino“ auszeichnete, geblieben ist, und wie er sich gleichzeitig verschoben hat, lässt sich auch an den Filmen der Hamburger Dokumentarfilmerin Monika Treut ablesen, mit denen die Reihe endet. Ihr letzter Film, Axensprung – ein Reisetagebuch entstand auf verschiedenen Festivals zwischen San Francisco Rio de Janeiro, Paris und Jerusalem. Die Frage, wo der unabhängige Film steht, wird hier vor einer Vielheit der Politiken und Lebensformen verhandelt.

Die Kraft, die ein Blick entfalten kann, der sich von Verwertungszusammenhängen frei macht, dokumentiert auch Monika Treuts 1999 gedrehter Dokumentarfilm Gendernauts. Treut hat in San Francisco Menschen besucht, die jenseits der festgelegten Geschlechtergrenzen leben. „Wir glauben, dass es nur zwei Geschlechter gibt, männlich und weiblich, weil wir gelernt haben, die anderen unsichtbar zu machen“, sagt eine Genderforscherin im Film. „Bevor wir über Geschlechter reden, müssen wir erst wieder lernen, sie zu sehen.“ Sehen lernen, genau darum geht es.

Der kleine Godard: 9.2., 19 Uhr, 10.2., 17 Uhr; Paranormal: 10.2., 21.15 Uhr; Bearskin – Ausgespielt: 13. + 15.2., 21.30 Uhr, 14.2., 19 Uhr; Jonas at the Ocean: 16.2., 19 Uhr; Dandy: 17.2., 21.15 Uhr; Mariola im Sexil: 21.2., 21.15 Uhr; Kriegerin des Lichts: 23.2., 19 Uhr, 25.2., 21.15 Uhr; Gendernauts: 24.2., 21.30 Uhr, 29.2., 21.15 Uhr; Samba für Singles: 27.2., 19 Uhr; Axensprung – ein Reisetagebuch: 27.2., 21.15 Uhr, 28.2., 19 Uhr, 29.2., 17 Uhr, Metropolis