Ego am kalten Polar

Wenn in einer kargen Umgebung jeder Laut und jede Bewegung zu überdimensionalen Gesten werden: Der argentinische Künstler und Stipendiat Charly Nijensohn zeigt bei der Sculpture Musicale im Podewil seine Installation „An Act of Intensity“

von MEIKE JANSEN

Viertausend Meter über dem Meeresspiegel breitet sich in der argentinischen Provinz Jujuy eine schier unendliche Salzwüste aus. Diese unwirklich anmutende, menschenleere Kulisse bietet den Rahmen für Charly Nijensohns Film „An Act of Intensity“. Er beginnt mit einem vom Salz zerfressenen Bootswrack, das in dem Meer von Salz ruht. Blenden wischen die Bilder der geisterhaften Szenerie wie Windböen hinweg und geleiten zu einem Mann, der in der kargen Wüstenlandschaft einen Garten voll schiefer, sich dem Luftzug hingebender Windräder anlegt. Der Film schließt mit dem zentralen Motiv, das großzügig in der Landschaft verteilte, schwarze Säulen zeigt. Wie Schattenspiele in der weißen Landschaft sitzen oder stehen Menschen auf hohen Sockeln – mal mit den Blicken in die Ferne schweifend, mal sich fröstelnd gegen den Wind stemmend.

Begleitet werden die Bilder vom ständig blasenden Wind, den Nijensohn zu kleinen Loops geformt hat. Manchmal meint man sogar eine Melodie wahrzunehmen, aber da weht sie auch schon davon. In dieser minimalen Umgebung gerät eben jeder Laut, jede Bewegung zur überdimensionalen Geste. Die Fülle an Interpretationsmöglichkeiten verstört mehr, als dass sie konkrete Hinweise lieferte.

Durch den linearen Schnitt der eigentlich fünftteiligen Installation verzichtet Nijensohn natürlich auf das stetige Zusammenspiel der Motive, die er in der raumgreifenden Fassung sogar um zwei Aufnahmen aus der menschenleeren Wüste ergänzt. Dazu wird die Intensität gemindert, da die Sequenzen mit nur einer festen Kameraeinstellung wiedergegeben werden. In der großen Version verstärkt Nijensohn die surrealistische Atmosphäre noch, indem er die Kamera und somit die BetrachterInnen ständig um sich selbst kreisen lässt. Damit gibt er nicht nur den Blick auf 360 Grad Horizont frei, sondern auch den Ursprung aller Deutungsquellen – das menschliche Ego.

Nachdem der 36-jährige Nijensohn sich mit dieser poetisch-existenzialistischen Arbeit in Europa einen Namen gemacht hat, stellt er sich mit ihr auch als Stipendiat des Podewil vor. Seit Dezember letzten Jahres wohnt er mit Frau und Kind in Friedrichshain. Er vermisst zwar seine Eltern, Freunde und auch seine Schüler und Schülerinnen von der Universität in Buenos Aires, die er in Ton- und Bilddesign unterrichtet. Eine Rückkehr aber kann er sich nur schwer vorstellen. „Schau, Argentinien steht kurz vor der Wahl. Und was soll sich ändern? Es sind doch die gleichen Betrüger und Diebe wie vorher“, sagt er. Das Podewil als Berliner Institution für neue Medien hat ihm nun für ein Jahr ein Atelier mit einem Rechner zur Verfügung gestellt. Dazu erhält Nijensohn ein Budget, um kleinere Projekte zu verwirklichen.

In Anbetracht seiner Großinstallationen ist klein natürlich relativ. Immerhin geben die linearen Fassungen seiner Werke anschaulich wieder, was möglich wäre, gäbe es mehr Platz und Geld. Aber beides ist auch in der Berliner Kulturlandschaft knapp geworden. „Ich kann damit umgehen“, lächelt Nijensohn und erzählt von der Einladung zur Biennale in Venedig. Dort wird er zumindest eine Arbeit im Pavillon des Italo-Latin American Institute in seiner ganzen Opulenz präsentieren können: „Travel to nowhere“, den ersten Teil eines Polarprojektes.

Diese Ton- und Videoinstallation besteht aus drei synchronisierten Filmen, die eine polare Landschaft aus der Luft sowie Abstraktionen von Wasser und Land beschreiben. Zum Teil ist im zentralen Bereich des Aufbaus, der an einen Trichter erinnert, ein Mann mit verbundenen Augen zu sehen. Reglos liegt er im Getöse des Militärflugzeuges, das für Nijensohn und seine Begleiter vor einem halben Jahr die einzige Transportmöglichkeit in die Antarktis darstellte.

In die Installation integriert, erinnern diese Bilder an die Zeiten der Diktatur in den Siebzigerjahren, als in Argentinien Menschen vom Militär entführt, mit Drogen betäubt und irgendwo über einem Fluss abgeworfen wurden. Der Sound der brüllenden Turbinen und schreienden Steuerklappen erzeugt beim Betrachten zusätzliche Belastungen. Nijensohn bekommt beim Gedanken der auf diesen Krach reagierenden Menschen glänzende Augen und verrät, dass es hin und wieder sogar Kinderstimmen zu entdecken gibt. Doch sind für ihn diese Filme nur eine Vorarbeit für sein eigentliches Polarprojekt. Er zückt einige Zeichnungen mit Eisbergen, die im Polarmeer treiben und auf denen vereinzelt Menschen zu sehen sind. Eine andere Skizze zeigt einen Eisberg, auf den ein Feuer projiziert wird.

Der Film ist für acht Leinwände konzipiert, die einen Kreis bilden. Das Publikum steht im Inneren des Runds. Zum Ton seiner neuen Installation kann er noch nichts sagen, er wird das nehmen, was er vor Ort vorfindet.

Auf jeden Fall rechnet er sich größeren Erfolg aus, wenn er von Grönland aus agiert – nicht wie bei seinem ersten Besuch am Südpol, der nur über zwei Militärbasen angeflogen werden kann. Das wird die Kosten drücken, glaubt Nijensohn. Dazu liegen die Flugplätze in der Arktis näher am Wasser. Lange Transportwege wie in der Antarktis entfallen. Aber selbst wenn das Geld für die Reise bald zusammenkommen sollte, wird man in Berlin wohl vergeblich warten, einmal eine seiner Arbeiten in voller Größe sehen zu können. Denn nicht nur Größe, auch Reichtum ist relativ.

Die Installation ist bis zum 12. 4. zu sehen, Podewil, Klosterstraße 68, Mitte