Neulich beim Sicherheits-Check

Sex ist doch das einzig Wahre: Das Junge Theater zeigt Falk Richters „Electronic-City“ vor allem als globalisiertes Märchen

-fuck – fuck fuck – fuck fuck fuck– fuck“ Das ist – darf man das so sagen? – der Refrain von Falk Richters „Electronic City (Airport Romance)“, uraufgeführt im vergangenen Oktober in Bochum, mittlerweile in Berlin und Zürich im Spielplan, und, ja, seit Donnerstag auch in der Schwankhalle, beim Jungen Theater.

Dort hat Erkan Altun Regie geführt. Und in seiner Fassung zumindest reimt sich das Lehnwort, das Langenscheidts Handwörterbuch Englisch-Deutsch züchtig überspringt, auf – Kuckuck.

Zweifellos verliert der Vulgarismus dadurch seine Spitze. Was so verkehrt nicht ist: Mit Wiederholungen driftet die Sprache vom Sinn zum Klang. Er löst sich auf im Rhythmus. Bedeutungslos ist diese Rückkehr zum Ausgangsmaterial nicht: Im Kehrvers rauscht die Realität.

Ein „slang term for sexual intercourse“ – mehr ist von ihr in „Electronic City“ nicht übrig: Das Stück erzählt – jawoll: Es erzählt! – die Geschichte von Tom und Joy. Man darf sie auch ein Märchen nennen. Oder eine Neufassung des „Fliegenden Holländers“: Tom ist eine global aktive Führungskraft auf ewiger Dienstreise, Joy eine global aktive Aushilfe: derzeit tätig für eine prêt-à-manger-Kette, die sich aufs Flughafengeschäft spezialisiert hat. „Er war so erregt, wir hatten sofort Sex in diesem verdammten Glaskubus“, wird sie die Begegnung beim Sicherheits-Check schildern. „Er konnte wirklich verdammt gut ficken.“

Der sexual intercourse ist noch nicht das Happy End: Natürlich ist dieser verdammte Glaskubus Gegenstand der Videoüberwachung, und natürlich sitzt am anderen Ende der Leitung ein dicker fetter Sicherheitsbeamter, und natürlich macht die mediale Verdopplungsmaschinerie die Szene zum Porno. Aber ganz zum Schluss springt Joy dann doch von der Klippe: „Ich liebe dich“, lässt Richter sie sagen, und „ohne wirkliche Zuversicht“ stammeln: „Wir schaffen das.“ Tom, ebenso: „Ja wir schaffen das.“

Zum extrem-hippen Stück wird das – fast vergessen: im Laufe des Quartals stehen noch Premieren in Göttingen sowie in Santiago de Chile an – nicht nur, weil die Figuren zersplittert und ihre Aussagen fragmentiert sind. Sondern weil Richter die Regieanweisungen ins Drama integriert: In der Schwankhalle kommt dafür manchmal von oben aus dem Off, semigöttlich, eine Stimme, die den im Grunde zusammenhanglosen Sets eine, die Erzählung unterschiebt. Oder sie, wie’s beliebt, unterbricht. Außerdem wedelt um die beiden ein indefinites fünfköpfiges Team, teils Aufnahmeleitung, teils tafelnde Skriptentwickler-Crew, teils eine Bande über die Gebühr teilnehmender Souffleure.

Dafür hätt’s einer radikalen Lösung bedurft. Altun hat sie nicht gefunden. Weder entschließt er sich, die Rollen gegen den Trend in all ihrer Banalität ernst zu nehmen. Noch folgt er beherzt genug den Fluchten des Texts ins Virtuelle. Es gibt ein bisschen Video-Gespiel, es gibt ein bisschen Gefühl, und es gibt ein bisschen Koital-Symbolik auf Spielmöbeln mit und ohne Münzschlitz. Doch weder Anja Wedig, die Joy spielt, noch dem reichlich penetrant vortragenden Denis Fischer als Tom will es so recht gelingen, eine Person zu sein und sie zugleich nicht zu sein – sprich, jemanden zu spielen, der jemanden nur spielt. Was bleibt ist eine erste, sehr texttreue Begegnung mit einem Stück, das momentan einfach kennen muss, wer mitreden will. Auch das ist ein Mehrwert.

Benno Schirrmeister

Nur noch morgen, 20.30 Uhr sowie 13. bis 15.2., jeweils 22.30 Uhr