Wandel durch Annäherung

Die Ausländerbeauftragte Barbara John will im Umgang mit islamistischen Tendenzen in der Stadt nicht polarisieren. Sie plädiert dafür, Fundamentalisten zur Rede zu stellen, nicht sie auszugrenzen

Interview ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Frau John, Ihre Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Viele blicken mit großer Anerkennung zurück auf Ihre 21-jährige Arbeit. Dennoch gibt es Kritiker. Im taz-Interview vom Mittwoch warf Ihnen der Migrationsforscher Ralph Ghadban vor, im Umgang mit Islamisten in Berlin unkritisch zu sein. Wie beurteilen Sie solche Aussagen?

Barbara John: Die können nur von Leuten stammen, die die Entwicklung nicht richtig beobachten. Selbstverständlich war ich auch eine Gesprächspartnerin für Vereine, die in der Öffentlichkeit als problematisch bis hin zu fundamentalistisch gesehen werden. Seit wann schließen Kontakte kritische Haltungen aus? Kontakte ermöglichen erst kritische Auseinandersetzungen.

Das kommt aber nicht überall gut an.

Das muss es auch nicht. Es muss politisch sinnvoll sein. Mit Muslimen in bestimmten Vereinen zu sprechen, das macht mich in den Augen einiger schon verdächtig, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen. Absurd. Ich spreche auch mit Menschen, deren Ideen ich leidenschaftlich bekämpfe.

Gibt es da ein Motto, nach dem Sie handeln?

Ich will durch Gespräche emanzipatorische Entwicklungen stärken, um fundamentalistische Einstellungen zurückzudrängen. Das ist meine Strategie.

Kurz gesagt: Wandel durch Annäherung?

Ja. Ein bekanntes Motto, mit dem schon viele Änderungen erreicht wurden.

Eine weitere Kritik ist, dass Sie islamistische Einrichtungen und Moscheevereine „finanziell unterstützen“.

Das ist schlicht gelogen. Eine reine Erfindung. Jede Zuwendung ist nachprüfbar, zu jeder Zeit. Es gibt manchmal Anfragen von Kreditgebern oder Bezirksämtern, ob diese oder jene Einrichtung förderwürdig ist. Ich lese dann bei meinen Recherchen auch den Verfassungsschutzbericht. Bei meinen Auskünften lege ich die Karten stets offen auf den Tisch. Die letzliche Entscheidung, ob ein Projekt Geld oder Unterstützung bekommt, treffen die zuständigen Stellen allerdings selbst.

Wenn Sie Anfragen zu einem wünschenswerten Projekt bekämen, hinter dem aber Milli Görüs steht, würden Sie da eine Förderung empfehlen?

Wenn diese Organisation den Antrag stellte, gäbe es keine Empfehlung.

Es gab so einen Fall. Das Land Berlin genehmigte die Islamische Grundschule in Berlin.

Diese Schule wird von anderen Senatsverwaltungen finanziert. Als es um die Genehmigung ging, war ich damals die Einzige, die mit einer Liste in den Schulausschuss ging, um Auflagen zu erzwingen. Mir waren die personellen Verflechtungen zwischen der Islamischen Föderation, Milli Görüs und der Trägerorganisation bekannt.

Ihnen wird auch vorgeworfen, dass durch Ihre Politik die integrationspolitisch wichtige Sozialarbeit für MigrantInnen in die Moscheevereine abgewandert sei?

Das ist doch Unfug. Wir finanzieren die Sozialarbeit der großen Liga-Verbände wie AWO, Diakonisches Werk und Caritas. In Berlin gibt es zudem eine einmalige Projekt- und Selbstorganisationslandschaft. In allen Kirchen, in der jüdischen Gemeinde und in den Moscheen wird Sozialarbeit betrieben. Daran ist nichts verwerflich. Da wir es nicht finanzieren, haben wir auch keinen Einfluss darauf.

Ist denn die Kommunikation über den Umgang mit dem Islamismus hier in der Stadt Ihrer Meinung nach ein vermintes Feld?

Ich glaube, dass es mehr Minenleger als Minensucher gibt. Hier werden gerne Feindbilder aufgebaut, bis hin zu der Warnung, Muslime sind potenzielle Terroristen. Die Lust an der voreingenommenen Grenzziehung zwischen den friedfertigen Muslimen und den gewaltbereiten Islamisten ist grenzenlos.

Aber eine unkritische Auseinandersetzung, die Ihnen vorgeworfene falsche Toleranz, ist ebenso kontraproduktiv.

In konkreten Situationen, zum Beispiel dem Schächten mit oder ohne Betäubung – natürlich nur mit Betäubung. Aber auch bei zentralen Grundsatzfragen wie säkularer Staat versus Gottesstaat … Genau diese Diskussion führe ich.

Gibt es Organisationen, wo Sie nicht mehr auf Dialog setzen würden?

Mit den Kaplan-Leuten, die in Berlin auch mal eine Moschee hatten, habe ich nie gesprochen. Da wurden Nichtmuslime mit Hass betrachtet. Dieser Verein hätte viel früher verboten werden müssen.

Was ist gegenwärtig mit dem Fall der Al-Nur-Moschee in Neukölln?

Wenn die Moschee nicht geschlossen wird, bleibt die Frage, wie gehen wir mit den Menschen um, die dort nur beten oder im Verein aktiv sind? Soll der Kontakt abgebrochen werden? Ich frage den Verfassungsschutz stets, was aus seinen Beobachtungen resultiert. Da gibt es keine konkreten Aussagen. Hier scheint mir eine Lücke im Umgang mit solchen Organisationen zu sein. Es ist doch viel fruchtbarer, die Islamisten zur Rede zu stellen. Schweigend Erkenntnisse zu gewinnen und Entwicklungen lediglich zu beobachten, halte ich für unpolitisch.

Sie haben von der muslimischen Community nie laut und deutlich gefordert, sich von fundamentalistischen Strömungen und Personen öffentlich zu distanzieren. Warum nicht?

Woher wissen Sie das? Wenn es fundamentalistische Strömungen gibt, tue ich das sehr wohl. Den Muslimen aber grundsätzlich zu unterstellen, sie würden sich so äußern, das würde eine ohnehin schon verbreitete Islamphobie nur schüren.

Eine weitere Kritik ist, Sie hätten früher grundsätzlich linke, und damit säkular orientierte Organisationen nicht unterstützt. Wie sehen Sie das?

Auch das ist Unfug. In der Regel fördere ich Projekte aus der links-liberalen Mitte. Denn aus diesem Spektrum rekrutieren sich die Elitemigranten, die Projekte organisieren. Im Übrigen werden alle Zuwendungen dem Hauptausschuss jährlich vorgelegt. Da wurde so ein Vorwurf nie erhoben.