Stahlkocher wütend auf „den Deutschen“

Generalstreik in der italienischen Stadt Terni gegen die geplante Schließung des Stahlwerks von ThyssenKrupp. Rund 1.000 Arbeitsplätze bedroht. Antideutsche Töne und Falschmeldungen werden auch von den Gewerkschaften übernommen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Tedesco attento – l’acciaio è violento!“, verkündete das große Transparent im Demonstrationszug: „Deutscher, pass auf –der Stahl ist gewalttätig!“ Wohl 30.000 Menschen waren am Freitag im umbrischen Terni auf den Beinen, um bei dem lokalen Generalstreik „dem Deutschen“ – genauer der ThyssenKrupp AG – Druck zu machen.

Denn der Konzern will das örtliche Elektrostahlwerk schließen und damit an die 500 der knapp 4.000 Beschäftigten auf die Straße setzen, mindestens 400 Arbeitsplätze fallen Subunternehmen und Zulieferern weg.

Alle Betriebe, aber auch die Geschäfte in der 110.000-Einwohner-Stadt hatten geschlossen, während die Menschen im Beisein prominenter Politiker von links bis rechts demonstrierten. ThyssenKrupp macht geltend, dass die Produktion des Magnetstahls in Terni teurer ist als in Gelsenkirchen oder in einem französischen Zweigwerk. Zudem ist von Qualitätsproblemen die Rede.

Glauben mag das in Italien niemand, denn noch im Herbst gab es Zusicherungen, die Produktion in Terni werde durch Neuinvestitionen gestärkt. Deshalb machen jetzt Verschwörungstheorien die Runde: Der deutsche Standort werde nicht angerührt, weil die Firma ja deutsch sei, heißt es. Außerdem wolle ThyssenKrupp sich nicht mit dem französischen Staat anlegen – und so bleibe als Opfer eben bloß Terni übrig.

Zudem fürchten die Beschäftigten, dass die anstehende Teilschließung bloß der erste Schritt zur kompletten Stilllegung der Stahlproduktion in der Stadt ist, die seit über 100 Jahren vom Stahl lebt. Viele der überwiegend sehr jungen Arbeiter fürchten eine Zukunft ohne Beschäftigungsalternativen, entsprechend radikal ist ihr Protest. Schon am 29. Januar, als die überraschende Entscheidung des Konzerns bekannt wurde, gingen die Scheiben eines Hotels zu Bruch, in dem die ThyssenKrupp-Manager tagten. Die aus Deutschland angereisten Firmenvertreter mussten sich durch einen Hinterausgang in Sicherheit bringen. Danach begann der Streik – Tag für Tag zunächst für zwei Stunden während jeder Schicht. Außerdem wird seitdem die Warenauslieferung blockiert; mehr als 40 beladene Lkws stehen derzeit auf dem Hof.

Die Gewerkschaften fordern die Rücknahme des Stilllegungsbeschlusses, auch Staatschef Silvio Berlusconi hat schon bei Gerhard Schröder angerufen, während Piero Fassino, Vorsitzender der Linksdemokraten, einen Brandbrief an den Kanzler schrieb. ThyssenKrupp reagierte – mit der Verschiebung der endgültigen, ursprünglich für heute geplanten Entscheidung um zwei Wochen.

Gegner beim Protest ist „der Deutsche“ aber nicht nur in Gestalt der Firmenleitung. Plakate wie „Arbeit macht frei“ oder Sprechchöre „Die Mama des Deutschen ist eine große Hure“ dominierten am Freitag das Bild der Straße, während „original antideutsche Trillerpfeifen“ feilgehalten wurden. Ein Ziel dieses Zorns, der immer wieder auf die Nazizeit und den Partisanenkampf gegen die Deutschen rekurrierte, war auch die IG Metall. Die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore hatte ausgerechnet am Freitag die Meldung veröffentlicht, die IG Metall habe in Deutschland angeblich zum Streik für die Stilllegung in Terni aufgerufen. Statt diese Meldung erst einmal zu überprüfen, erzählten italienische Gewerkschafter sie am Rande der Demo munter weiter. Und teilten zugleich mit, dass es in der gegenwärtigen Situation faktisch keine Kontakte zu den deutschen Gewerkschaften und Arbeitervertretern gibt – obwohl bei ThyssenKrupp ein europäischer Betriebsrat besteht.