Der Franz von der alten Tante SPD

Gleich bei seinem ersten Auftritt als designierter Parteichef bekam Franz Müntefering in Thüringen die Wechselstimmung der Parteibasis zu spüren

AUS ARNSTADT MICHAEL BARTSCH

„Franz, mache uns Mut, sage uns, warum wir die Wahlen gewinnen müssen!“ Aus tiefer Not ruft die Parteibasis zum Herrn, vier Monate vor der Wahl in Thüringen, dem „grünen Herzen Deutschlands“, in dem es zu Zeiten des Eisenacher Parteitages oder des Gothaer Programms der SDAP vor 130 Jahren auch schon einmal rötlicher pulsierte. Gerhard der Große sollte sie aufrichten, aber zum zweiten Male gab er ihnen in der Arnstädter Stadthalle einen Korb und schickte stattdessen seine bessere Hälfte Franz.

Müntefering war frisch von der Berliner Doppelspitzen-Pressekonferenz hierher geeilt, um vor 500 Genossen für die Einsicht in die Notwendigkeit zu werben. Wenn vereinzelt auch in Arnstadt von einem „historischen Tag“ die Rede war, klang das ein bisschen künstlich. Denn wirklich überrascht schien niemand von Schröders Rückzug aus der Parteiführung, und dagegen hat auch niemand etwas. Die Partei werde nun stärker sein, hieß es in entlarvender Paradoxie vom Thüringer Spitzenkandidaten Christoph Matschie.

In den Stuhlreihen, die sich schon nach knapp zwei Stunden deutlich zu leeren begannen, schätzt man den Franz als Kenner der „Seele der Partei“. „Es ist Schröder nicht so gegeben, mit der Basis umzugehen“, sagt der Erfurter Basismann Frank Schalles, der als einer der ganz wenigen durch seinen roten Schal auffällt. Das sei ähnlich wie bei Helmut Schmidt gewesen, meint er und fällt sich gleich selbst ins Wort. Denn der Tag heute dürfe keinesfalls wie damals der Anfang vom Ende einer SPD-Regierung sein. Ob es nicht auch ein kluger Schachzug Schröders gewesen sei, sich selbst aus der innerparteilichen Schusslinie zu bringen? Jaja, da sei was dran, bestätigt er.

Warum nun ausgerechnet die SPD Wahlen gewinnen muss, sagt aber auch der Franz nicht so richtig. Denn eigentlich gibt es nur objektive globale Notwendigkeiten, denen die SPD endlich Rechnung trägt, nachdem es alle auf der Welt schon getan und die Konservativen in den Neunzigern verschlafen haben. „Mut zum Fortschritt“ heißt das bei Müntefering. Bei allen Zumutungen ginge es doch auch den Arbeitslosen viel besser als in der Weimarer Republik. Weil man ja einen „Kernbereich“ des Sozialsystems weiterhin solidarisch finanziere. Und wenn das manche nicht verstehen, liegt das an einem Kommunikationsproblem. Denn „wir haben zu viel auf einmal getan“.

Die gute alte Tante SPD gibt sich auch in den jungen Ländern ziemlich senilkonfus. Genau eine Minute stehender Ovationen spenden die Thüringer Genossen nach einer Redestunde dem neuen Hoffnungsträger. Um dann nach viel Lob und Geschlossenheitsappellen doch mit dem herauszurücken, was sie eigentlich drückt. Achim Schmiederke aus dem frommen Eichsfeld versteht den Fortschritt einfach nicht, wenn „die Arbeitszeit rauf- und die Löhne runtergehen“. „Ihr sei mit der Lok losgefahren und habt die Anhänger vergessen“, ruft der 55-jährige arbeitslose Erfurter Rainer Kaufmann und fordert einen Arbeitslosenbeauftragten bei der Bundesregierung. Ein Ver.di-Gewerkschafter erinnert an eine Umfrage der Landesregierung, nach der inzwischen jeder fünfte Thüringer die Diktatur für den einzigen Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit hält. Den I-Punkt setzt im rollenden Südthüringer Dialekt Klaus Schiller. Die SPD habe nur bei einem radikalen Wandel noch eine Chance und mache jetzt doch auch nichts anderes als die anderen. „Einige von euch müssten die Parteibücher abgeben!“, ruft er aufs Podium.

Da holte sich der Genosse Klaus aber eine Watsche vom Zuchtmeister. Es sind die simplen Fragen, die dem lieben Franz Schneid und Schnarre in die Stimme legen. Das Geld lasse sich nun mal nicht mehr im Lande halten. Und die Vorstellung, man könne „Multimillionären etwas wegnehmen, um es anderen zu geben“, sei ein „altes Bild“ und ein „seit 100 Jahren überholter Irrglaube“. Basta. Damit den Genossen die „Lust am Rumpöbeln“ endlich vergehe. Ob wenigstens der etwas verloren herumsitzende Spitzenkandidat und Staatssekretär im Bundesbildungsministerium Christoph Matschie am Ende wusste, warum er die Wahlen für die SPD gewinnen soll?