Genugtuung für Wim Duisenberg

Der Chef der Europäischen Zentralbank wird wohl länger im Amt bleiben als geplant – auf Initiative der Franzosen, deren Kandidat derzeit noch vor Gericht steht

BRÜSSEL taz ■ Natürlich ist der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Gentleman, der sich so etwas wie „klammheimliche Freude“ nicht anmerken lässt. Aber Genugtuung bereitet es Wim Duisenberg ganz sicher, dass ausgerechnet die Franzosen nun auf ihn angewiesen sind. Zu seinem achtundsechzigsten Geburtstag am 9. Juli wollte er eigentlich in Rente gehen, doch die EU-Finanzminister werden ihn an diesem Wochenende beim Gipfel in Athen bitten, ein paar Monate länger zu bleiben.

Denn der französische Wunschkandidat für seine Nachfolge, Jean-Claude Trichet, steckt in Schwierigkeiten. Wegen „Veröffentlichung falscher Bilanzen und Verbreitung falscher Informationen“ über die Bank Crédit Lyonnais muss sich der französische Notenbankchef derzeit vor einem Pariser Gericht verantworten. Das Urteil wird am 18. Juni erwartet. Wie es ausfallen wird, ist nicht abzusehen. Und der Termin ist zu kurz vor Duisenbergs Geburtstag, um im Fall eines Schuldspruchs noch einen Alternativkandidaten aus dem Hut zu ziehen und in der Gemeinschaft durchzusetzen.

Und auch wenn Trichet schließlich mit einem Freispruch davonkommt, wäre die Sommerpause gut geeignet, um die Gemüter und die Börse zu beruhigen und vor allen Dingen den Euro stabil zu halten.

Die Sorge um den Euro, für den Duisenberg auch zu Tiefstzeiten Dollarparität voraussagte, war es wohl, die ihn auf billige Rache hat verzichten lassen. Jacques Chirac verpasste keine Gelegenheit, am Stuhl des fachlich unumstrittenen Holländers zu sägen und an die mündliche Absprache im Vorfeld seiner Ernennung zu erinnern. Er werde die vollen acht Jahre Amtszeit nicht ausschöpfen, hatte Duisenberg den Staatschefs bei seiner Ernennung 1998 zugesagt.

Die Franzosen aber gingen stillschweigend davon aus, er werde seinen Platz bereits nach der Hälfte der Zeit für einen Franzosen räumen – als Entschädigung dafür, dass sich die Deutschen Frankfurt als Zentralbanksitz gesichert hatten.

Der Kleinkrieg um seinen Rententermin drängte Duisenbergs unbestrittene Verdienste um den Euro zeitweise in den Hintergrund. Doch der Holländer beharrte immer stur darauf, den Zeitpunkt seines Ausstiegs selber zu bestimmen, und betonte damit die Unabhängigkeit der jungen Institution EZB.

Im Februar kündigte er an, am Tag seines 68. Geburtstages, nach fünf Jahren Amtszeit, den Posten aufgeben zu wollen. Dass er nun bereit ist, „bis zu sechs Monate“ dranzuhängen, erspart Jacques Chirac eine Menge Ärger. Es gibt ihm die Möglichkeit, den Favoriten Trichet im schlimmsten Fall in der Versenkung verschwinden zu lassen.

An seiner Stelle könnte er Jean Lemierre, den Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, oder den ehemaligen EZB-Vizepräsidenten Christian Noyer ins Spiel bringen. DANIELA WEINGÄRTNER