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: Schröders Lehre aus dem Irakkrieg: Eine europäische Militärmacht. Wenn’s geht, mit Blair

Noch ist der Krieg im Irak im vollen Gange, doch schon formulieren Regierungen weltweit bereits ihre Konsequenzen aus dem Angriff am Golf. Gestern hat Gerhard Schröder im Bundestag erklärt, welche Lehren die Bundesregierung zieht. Deutlich wie nie zuvor hat er klar gemacht, dass zukünftig wieder gilt: Militär zählt. Europa, so der Kanzler, muss endlich ernsthaft über seine militärische Dimension nachdenken.

 Zwar hat er auch ausführlich erläutert, dass die UNO zukünftig wieder die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden sowie die Verantwortung für die Zukunft des Irak übertragen bekommen soll. Doch an wen sind diese Appelle gerichtet? Anders als der letzte Golfkrieg wird der jetzige nicht im Auftrag der UNO geführt und auch nicht von einer breiten Koalition bezahlt. Ganz nach den barbarischen Regeln des Krieges folgt daraus, dass die Sieger entscheiden werden, was in dem eroberten Land passiert.

 Deshalb ist es so wichtig, dass nicht nur die Bundesregierung oder Russland sich für die UNO stark machen, sondern dass vor allem der britische Premierminister Tony Blair in den Kreis der Vereinten Nationen zurückkehren möchte. In dieser Frage befindet sich Blair im offenen Widerspruch zu Bush & Co. Wenn Blair mit seinen Vorstellungen über den Nachkriegsirak gegen seinen Kriegsalliierten auch nur eine kleine Chance haben will, braucht er dazu die Unterstützung der EU und der anderen Mitglieder des Weltsicherheitsrates. Folgerichtig hat Schröder seinem „Freund Tony“ die Hand ausgestreckt und will ihm jede Unterstützung zukommen lassen, die Blair für seine Vorstellungen braucht.

 Doch dabei geht es nur in zweiter Linie um den Irak. Viel wichtiger sind die langfristigen internationalen Kräfteverhältnisse. Schröder und Fischer glauben nicht daran, dass nach dem Einmarsch der Alliierten in Bagdad der weltpolitische Status quo ante zurückkehrt. Sie wollen Europa für die Zukunft rüsten und dafür England nach Old Europe zurückholen. Schröder hofft, Blair in den Aufbau einer EU-Militärmacht einbinden zu können. Die Auseinandersetzung um die Nachkriegsordnung im Irak ist deshalb der erste Test auf die transatlantischen Kräfteverhältnisse der Zukunft. Je weniger die USA im Überschwang ihres Sieges auf den Rest der Welt eingehen, umso mehr muss eine europäische Militärmacht her – das war Schröders Botschaft, und viele andere Regierungen werden die gleichen Konsequenzen ziehen. JÜRGEN GOTTSCHLICH