Knöpfe aufgedreht

Ein Händchen für kunterbunten, in alle Richtungen ausfransenden Indie-Rock – und umso unglaubwürdiger, wenn es um dessen geheiligte Aufrichtigkeit geht: „Enon“ im Molotow

von ALEXANDER DIEHL

Der Anlass war ein trauriger: 1997 starb Tim Taylor, Sänger der in überschaubaren Zuhörerzirkeln umso inniger gemochten – und, umso tragischer, kurz vor einem mittleren Durchbruch stehenden – Sci-Fi-Rocker Brainiac, bei einem Autounfall. Gitarrist John Schmersal erklärte die Band für aufgelöst, verließ Dayton, Ohio, und widmete sich in Kentucky seinem 4-Spur-Soloprojekt John Stuart Mill – nicht zuletzt als eine Art Trauerarbeit. Als er merkte, dass er auch Kentucky nicht länger ertrug, zog Schmersal im Jahr 2000 ein weiteres Mal um: nach New York City, wo er sein bereits kurz zuvor ausgebrütetes nächstes Soloprojekt Enon in ein Trio erweitert ins Leben rief.

Man muss sich nicht unbedingt jener allzu wohlwollenden Rezensentin anschließen, die noch im vergangenen Jahr über Enon schrieb, nun höre der Indie-Rock auf damit, auf seine Schuhe zu starren und drehe dafür Synthesizer, Grooves und überhaupt die Lautstärke auf – solche Versuche, sich stilistisch in Richtung benachbarter, nachfolgender oder auch vorangegangener Klangbilder zu erweitern, hatte das vielfach als konservativ gescholtene Genre da längst mit einigem Erfolg hinter sich.

Aber auch, wenn sie nur bedingt als Pioniere der so genannten Indietronics durchgehen: Ein Händchen dafür haben Schmersal und seine Mitstreiter – nach zwei Umbesetzungen sind das heute Toko Yasuda (zuvor Bassistin bei den formidablen Genrevertretern Blonde Redhead und The Lapse) und der Schlagzeuger Matt Schultz – allemal. Auf ihrem im vergangenen Sommer erschienenen, vierten Album High Society treffen wieder allerfeinste, Pavement-taugliche Gitarrenpop-Melodien auf knallbunten Spielzeug-Elektro, folgt auf trügerische Niedlichkeit die geballte Effektgeräte-Armada, die Schmersal auf Tournee bei sich führen soll.

Schmersal ist erklärtermaßen kein Fan der früheren Indie-Weirdos (und inzwischen in den Feuilletons goutierten Gesamtkonzeptspaßvögeln) Ween, stellt sich in Interviews aber gleichwohl gerne selbst als solcher dar. Auf der Bühne gibt er als Frontmann und Herz der Band ein ganzes Rollenspektrum zum Besten: Den vermeintlichen Emo-Core-Einheizer hat er genauso drauf wie hüftsteif näselndes Garagen-New-Wave-Gestakse, und sogar ein Entwurf doppelbödiger Singer-Songwriter-Intimität wird zum Besten gegeben – mit der Authentizität des Vorgetragenen indes, einer längste Zeit heiligen Kategorie in Indie-Land, ist es da so eine Sache.

mit A La Gare: Sonnabend, 21 Uhr, Molotow