Experten am Schreibtisch

Das neue Arbeitszeitmodell für Hamburgs LehrerInnen: Mehr Gerechtigkeit und Anerkennung oder mehr Arbeit und Belastung? FDP-Schulpolitiker Martin Woestmeyer und Arno Becker vom Deutschen Lehrerverband Hamburg im taz-Streitgespräch

„Die physische und psychische Belastung zu berücksichtigen, hieße, dass man andere ungerecht behandelt“: Martin Woestmeyer„Wir hätten uns gewünscht, dass der Senator dies klar und offen sagt: Leute, ihr müsst alle mehr arbeiten“: Arno Becker

Moderation: KAIJA KUTTER

taz: Warum brauchen wir so rasch ein Arbeitszeitmodell?

Martin Woestmeyer: Das klingt, als wäre es zu schnell. Es hat in Hamburgs aber bereits 1999 eine Lehrerarbeitszeitkommission gegeben. Deren Arbeit wäre umsonst, wenn wir von den guten Ideen nichts umsetzten.

Aber die Nachfolgekommission empfielt eine Pilotphase.

Woestmeyer: Deshalb erproben wir das ganze ja auch. Es ist nur schwierig, dies nur an einigen Schulen zu tun. Deswegen geschieht es flächendeckend. Innerhalb von zwei Jahren sehen wir, was sich in der Praxis bewährt.

Für den DLH eine Horrorvision?

Arno Becker: In den Kollegien herrschen Wut, Verzweiflung und Enttäuschung vor. Schulsenator Rudolf Lange hat sehr früh gesagt, es werde keine Pflichtstundenerhöhung geben. Jetzt sehen wir, dass wir mit dem neuen Arbeitszeitmodell alle mehr Unterricht geben müssen. Wir hatten gehofft, dass es mit diesem Modell wirklich zu einer gerechteren Beschreibung der Lehrerarbeit kommt. Eine Stunde in der Klasse ist nicht vergleichbar mit der Stunde am Schreibtisch. Und Fächer sind physisch und psychisch unterschiedlich belastend. Nichts davon wurde in diesem Modell berücksichtigt.

Woestmeyer: Ich bin dankbar, wenn der DLH sich mit solchen Vorschlägen an der Diskussion beteiligt. Die physische und psychische Belastung zu berücksichtigen, hieße aber, dass man andere ungerecht behandelt. Nicht nur der Sportlehrer, auch der Deutschlehrer kann einer Belastung ausgesetzt sein, die sich nicht in Zahlen messen lässt.

Nun belasten Sie alle. Der Großteil der Lehrer bekommt 30 Stunden.

Woestmeyer: Das Arbeitszeitmodell schafft nicht mehr Arbeit, es verteilt sie nur gerechter. Wir haben nun einmal wegen der schlechten Haushaltslage die Arbeitzeit für Beamte auf 40 Stunden erhöht. Die Lehrer können wir da nicht ausnehmen. Aber wir erhöhen nicht pauschal deren Arbeitszeit, sondern gucken, dass diese gerecht verteilt wird.

Becker: Darauf hatten wir auch gehofft. Aber durch die Sparvorgaben ist dies weder gerecht noch ausgewogen. Die Kommission selber warnt in ihren Bericht, dieses Modell sei nur gegeben, wenn es nicht mit anderen politisches Zielen verknüpft wird. Und Sparen ist ein politisches Ziel. Wir hätten uns gewünscht, dass der Senator dies klar und offen sagt: Leute, ihr müsst alle mehr arbeiten.

Man kann das ganz einfach ausrechnen: Es gibt in Hamburg etwas über 13.000 Lehrerstellen, es fehlen bis 2005 rund 1000 Stellen. Jeder Lehrer unterrichtet 25 Stunden die Woche, macht 25.000 Stunden. Aufgeteilt auf diese Lehrer gibt jeder zwei Stunden mehr. Das nennt sich „Auskömmlichkeit“. Es wurde die Arbeit schlichtweg so lange klein gerechnet, bis sie auf alle Lehrer passt.

Woestmeyer: Wir haben rund 16.000 Lehrer auf 13.700 Stellen. Das ist ein Unterschied. Wir führen die 40-Stunden-Woche für Beamte zusammen mit einem gerechten Arbeitszeitmodell ein. Deshalb wird es so sein, dass einige Lehrer mehr, andere weniger und einige gleich arbeiten werden. Über einen Kamm scheren kann man das so einfach nicht.

Becker: Es ist nicht akzeptabel, die Lehrer an der 40-Stunden-Woche zu beteiligen. Denn wir haben 1989 gar nicht an der Absenkung auf 38,5 Stunden teilgenommen. Aus Spargründen. Wir haben weiter auf alter Stundenbasis gearbeitet mit dem Effekt, dass noch nicht einmal 8 Prozent der Lehrer gesund die Grenze von 65 Jahren erreichen.

Sollten Lehrer von den 40 Stunden ausgenommen werden?

Becker: Wenn denn nun gesagt wird, es muss Mehrarbeit geben, müssten wir diese Kröte wohl schlucken. Aber die Zeitmargen müssen realistisch berechnet sein und das, was wir zusätzlich tun, muss auf ein Lebensarbeitszeitkonto gutgeschrieben werden. Die Kollegen könnten mit der aufgesparten Zeit eine Altersteilzeit nehmen, die uns ja gestrichen wurde.

Woestmeyer: Das Lebensarbeitszeitkonto ist ein bestechender Vorschlag des DLH. Es könnte zu einer höheren Akzeptanz in der Lehrerschaft führen. Andererseits bin ich einer der jüngeren Abgeordneten und immer sehr vorsichtig bei allen Dingen, die man sich auf Kosten der Zukunft erkauft. Die Konten engen den Spielraum künftiger Politik ein.

Becker: Aber es gibt ab 2007 rapide sinkende Schülerzahlen, den Spielraum könnte man nutzen.

Woestmeyer: Die sinkenden Schülerzahlen sind nicht allein bestimmend. Man muss auch Spielraum für neue Schulpolitik bewahren. Die jetzige Regierung hat gesagt, wir wollen Sprachförderung im Vorschulalter, wir wollen das Abi nach zwölf Jahren. Das ist Mehraufwand, den wir festlegen. Wenn in zwei Jahren eine andere Regierung kommt, die neue Ziele hat, braucht sie Spielraum.

Becker: Womit Sie jetzt zugeben, dass es Mehrarbeit gibt.

Woestmeyer: Deshalb legen wir jedes Jahr 100 Stellen drauf.

Grundschullehrer müssen künftig bis zu 33 Stunden unterrichten. Das ist anstrengender als Schreibtischarbeit.

Woestmeyer: Stimmt. Schule leistet mehr. Das ist das Grundziel des Modells, dass man nicht nur die 45 Minuten sieht, sondern all die anderen Dinge. Die Bürger sehen nur, die Lehrer arbeiten 28 Stunden à 45 Minuten und den Rest verbringen sie als Freizeit.

Becker: An Grundschulen ist dieses Mehrarbeitsmodell überhaupt nicht umzusetzen. Die Lehrer unterrichten 27 Stunden, die 28. Stunde muss schon über Schularbeitenhilfe und ähnliches abgegolten werden. Wenn die jetzt noch mehr Stunden bekommen – und das ist so – ist die Frage, was macht man damit? In der Behörde wird laut darüber nachgedacht, man könne sich zum Nulltarif eine Kita-Versorgung nachmittags vorstellen. Das ist nach einem stressigen Vormittag in der Schule für eine 64-jährige Kollegin eine Zumutung.

Aber Grundschullehrer kommen mittags nach Hause.

Becker: Es ist nicht so, dass die nichts vorbereiten. Gerade bei den Kleinen, die weniger selbständig sind, ist der praktische Aufwand viel höher. Auch da werden Hefte korrigiert, Gespräche mit Eltern und Konferenzen geführt. Dass da weniger gearbeitet wird, ist ein Irrtum.

Woestmeyer: Ich halte das auch für ein Vorurteil.

Aber Sie bemessen die Faktoren so knapp, dass Sie mehr Stunden aus den Grundschulen rausholen.

Woestmeyer: Es geht hier nicht ums „rausholen“. Grundlage sind ja Selbsteinschätzungen von Lehrern aus der ersten Arbeitszeitkommission von 1999. Da hat man Lehrer die Zeit stoppen lassen, wie lange sie für einzelne Schritte brauchen. Die Faktoren, die man jetzt angesetzt hat, sind im Schnitt höher als diese Selbsteinschätzung.

Becker: Da muss ich widersprechen. Es wurden nur bei Schulleitern Faktoren raufgesetzt. Die Faktoren für den Fachunterricht, die die meisten Kollegen betreffen, wurden gegenüber dem ersten Modell abgesenkt. Es gab keine Aufgabenkritik. Man hat alles gelassen und kleingerechnet. Und zwar vom Schreibtisch aus.

Woestmeyer: Das ist nicht vom Schreibtisch aus geschehen, da hat eine Kommission von Experten zusammengesessen.

Becker: Die aber die Vorgabe hatte, mit dem Etat auszukommen.

Woestmeyer: Auskömmlichkeit ist hier scheinbar negativ belegt. Es heißt doch nur, dass wir das, was wir uns vorstellen, was Schule zu leisten hat, auch wirklich leisten können.

Ihre Auskömmlichkeit hat weitere Folgen. Sie senken die Teilungsstunden. Das geht auf Kosten von Integration und der Förderung schwacher Schüler.

Woestmeyer: Wir sagen ja, gerade bei der Sprache wollen wir mehr und früher fördern. Das ist die beste Integration überhaupt.

Becker: Auskömmlichkeit führt hier zu Qualitätsverlust. Es ist doch paradox, wenn ich Förderstunden dadurch erwirtschaften muss, dass ich Klassen überfrequent fahre. Man braucht doch gerade in Brennpunktschulen und bei schwierigen Schülern kleine Gruppen von Anfang an.

Herr Becker, was werden Sie tun?

Becker: Wir versuchen mit Verfassungsrechtlern eine einstweilige Verfügung gegen das Modell zu erwirken. Denn es wäre Vorschrift, ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen. Außerdem werden wir alle Teilzeitkräfte ermuntern, ihr Recht auf volle Stellen einzuklagen. Das bringt Bewegung in den Lehrerstellenplan.

Und Sie, Herr Woestmeyer?

Woestmeyer: Ich möchte dafür werben, dass dies ein gerechtes Modell ist. Nur wenn die Lehrer dabei sind, kann es sich in der Praxis bewähren. Da steht noch Überzeugungsarbeit an.