berliner szenen Kaffeenachmittag

Irakische Könige

Das Licht wirkt heller, die Farben intensiver. Kein Tag in diesem Jahr war so bunt wie dieser. Als hätte man letzte Nacht sehr viele Pillen zu sich genommen. Ein schöner Tag. Sanft streicht der Wind durch das geöffnete Fenster im Café 103 am Zionskirchplatz. Es ist Sonntagnachmittag, an den kleinen Tischen werden Kaffee und Kuchen verspeist. Ein bisschen wie früher bei Oma. Nur die Omas fehlen. Ein orientalisch aussehender Mann auf Krücken wirft sich auf die Sitzbank in der Ecke, sein Begleiter hilft ihm beim Ausziehen der Jacke. Ein kleiner Junge, nicht älter als sechs, schwarzes Haar, große weit geöffnete Augen, drängt sich neben die beiden Männer. Frauen kommen dazu. Eine kleine Gesellschaft.

Charles, der seit Ewigkeiten über den Philosophen Paul Virilio und den Irakkrieg doziert, ist sich sicher: Hier sitzt eine irakische Königsfamilie im Exil. „Dich interessiert das alles gar nicht“, wirft er mir vor. „Mich macht der Krieg krank, dich kalt.“ Ich drücke meinen Daumen fest in die Hand. Der kleine König hat einen Gameboy, silbern mit aufklappbaren Display, herausgenommen und drückt gebannt auf die Tasten. Der Mann mit den Krücken will ihn ablenken, brennt ein kleines Loch in die Plastikhülle seiner Zigarettenschachtel und bläst Rauch hinein. Milchiger Dunst füllt das Zellophan. Eine dünne Rauchsäule steigt nach oben. Die dunklen Augen des Jungen schauen gebannt.

„Wahrscheinlich werden wir jetzt gerade von einer amerikanischen Cruise Missile anvisiert, die den König töten soll“, orakelt Charles und zieht an seinem Joint. Ich gehe zur Toilette. Bei meiner Rückkehr stehen nur die leeren Gläser auf dem Tisch, Charles ist verschwunden. Vielleicht hat er wirklich Angst vor Amerika. HENNING KOBER