Das Hannover in uns

Frei von trügerischem Glanz: Heute singt Pit Przygodda von Go Plus im Bastard im Prater von Birken und vom Rauschen der Straße. Es geht um Aufbruch und Öffnung, die Überwindung von Stillstand, den Wunsch nach Nähe

Ausgerechnet Hannover. Was soll man bloß von jemandem halten, der eine zärtliche Liebeserklärung an die langweiligste Stadt Deutschlands schreibt? „Und habe eingepackt“, heißt es in einem Song auf der neuen Go-Plus-Platte, „und zwischendurch lang und laut geheult.“ Und dann: „O Hannover, mein Hannover.“ Pit Przygodda hat diese Zeilen verfasst, weil sie etwas mit seinem Leben zu tun haben. Er ist weggezogen aus Hannover, und das ist ihm schwer gefallen.

Pit Przygodda macht Vier-Minuten-Songs, aus dem, was er so denkt und fühlt. Es ist ihm egal, ob andere das peinlich finden. Die Musik, die dabei herauskommt, ist eher das Gegenteil von Popmusik. Sie verzichtet auf Anspielungen und Zitate, und deshalb bleibt sie frei von trügerischem Glanz. Leicht macht es diese Musik dem Hörer nicht. Allein schon dieser unbeholfene Gesang, bei dem es sich eigentlich mehr um ein melodisches Sprechen handelt. Und dann diese irritierenden Texte. Pit Przygodda bedient sich einer Kunstsprache, die hermetisch ist und doch nach Anschluss und Verständigung sucht. In feierlichem Ton singt er von Birken, von seinem Zittern, vom Rauschen der Straße, von der Last der Welt. Seine Formeln hat er den Sehnsüchten und Nöten der letzten vier Jahre abgerungen. So viel Zeit ist seit der letzten Go-Plus-Platte vergangen.

„Largo“ war damals bei V2 erschienen, einem Label, das mit dem Anspruch angetreten war, unkonventionelle Musik in die Charts zu bringen. Interviews wurden arrangiert, Anzeigen geschaltet, Videos gedreht, Singles ausgekoppelt. Doch Pit Przygoddas Kompositionen waren zu spröde, um einen Markt zu finden. Die Plattenfirma löste die Verbindung zur Band. Der Bassist Matthias Pacht wollte nicht mehr mitmachen, Pit Przygodda und der Schlagzeuger Lars O’Horl wussten auch nicht so recht, wie es weitergehen sollte. „Unser Luftschloss ist eingestürzt“, erinnert sich Pit Przygodda. „Das war schon eine große Enttäuschung für uns.“ Die Versuchung war groß, sich auf die Jobs zu konzentrieren, die das Geld für die Miete einbrachten. Was nicht unüblich ist bei Leuten um die dreißig, die allmählich aufhören, sich Illusionen zu machen. Lars O’Horl arbeitet in der Versandabteilung der Hamburger Plattenfirma Lado, Pit Przygodda gibt den Leuten, die Probleme mit der Benutzung einer bestimmten Musiksoftware haben, telefonische Hilfestellung. Und trotzdem hat Pit Przygodda nie aufgehört, Songs zu schreiben, nach den großen Gefühlen zu suchen, die im Alltag verloren gehen.

Er überredete seinen Bruder Christian den Part des Bassisten zu übernehmen. Christian und Pit Przygodda haben schon in der Schule zusammen Musik gemacht. Diese Vertrautheit hat dazu beigetragen, dass Go Plus gestärkt aus der Phase der Verunsicherung und des Zweifels hervorgegangen sind. Zusammen mit dem Schlagzeuger Lars O’Horl hat Christian Przygodda einen manchmal etwas streng gemusterten Rhythmus ausgelegt, der die luftigen Harmonien seines Bruder trägt.

Das Ergebnis rückt sie in die Nähe von Kante und Blumfeld, und doch stehen Go Plus ganz allein da mit ihren Musik gewordenen Tagträumen, die immer wieder um dieselben Motive kreisen: um Aufbruch und Öffnung, um die Überwindung von Stillstand, um den Wunsch nach Zugehörigkeit und Nähe. Um das Hannover in uns allen. Go Plus geben sich die Blöße. Dafür muss man sie nicht lieben. Aber man kann. Denn es gehört Mut dazu, so viel von sich preis zu geben. Und ein Etappenziel auf seinem Weg hat Pit Przygodda auch schon ausgemacht: „Hamburg, Here I Come.“ HEIKO ZWIRNER

Heute, 23 Uhr, Bastard im Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg