Der Kulturattaché

Seit gut einem Jahr ist Thomas Flierl Kultursenator. Nach Startschwierigkeiten hat er mit dem Opernreformkonzept seinen bisher größten Erfolg verbucht. Trotzdem bleibt die Frage: Ist er der Richtige, ist er gar ein Chinese? Am Montag geht die Opernreform vor dem Kulturausschuss im Landtag in die erste Runde. Ein Porträt

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Greenpeace hat das Brandenburger Tor besetzt. „No War“ steht auf dem blauen Transparent, das die Friedens- und Umweltaktivisten vor der Quadriga entrollt haben. Und seit dem Morgen trägt die Viktoria auch noch einen Plastikhelm. Das riecht nach Ärger.

Thomas Flierl hat im Abgeordnetenhaus von der Besetzung erfahren und sich auf den Weg zum Pariser Platz gemacht. „Ich bin schließlich der Hausherr des Denkmals“, entfährt es dem Kultursenator in seinem schweren Dienstwagen. Wie eine Drohung hört sich das an. Auch als sein Fahrer die Tachonadel über die erlaubten 50 km/h pro Stunde hochtreibt und Flierl vom „nationalen Symbol der Deutschen“ spricht, könnte man meinen, die Aktivisten haben gleich nichts mehr zu lachen. Das Brandenburger Tor ist ein Lieblingskind von Thomas Flierl. Er hat es bewacht wie seinen Augapfel bei der Sanierung und es den Sponsoren von der Telekom nicht leicht gemacht mit ihren Verhüllungs-Events.

Seither hat der PDS-Mann den Ruf weg als „Mister No“, als Ritter gegen die banale Kommerzialisierung des öffentlichen Raums und seiner historischen Bauwerke. „Don Quichotte vom Prenzelberg“ taufte ihn die Wochenzeitung Die Zeit deshalb. „Man hat mich manchmal falsch verstanden“, sagt er, lächelt, steigt aus und schlendert gemächlich zu den Demonstranten.

Alles andere als der große Zampano

Die 30 Torbesetzer dürfen dableiben. Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch gibt es auch nicht. Thomas Flierl findet die Antikriegssache selber gut. „Wer sind denn Sie?“, wurde er gefragt. „Ich bin der Kultursenator der Stadt und für den Denkmalschutz verantwortlich“, hat Flierl sich vorgestellt. Sogar zum Erinnerungsfoto mit dem Chef der Aktion hat der Senator posiert.

Wie er später wieder so dasitzt in den dunklen Ledersitzen seiner Limousine, fast darin verschwindet, weil ganz in existenzialistisches Schwarz gekleidet von der Schuhsohle bis zum Halstuch, wie er so dasitzt und über Krieg und Frieden und Verfremdungseffekte bei Verhüllungsaktionen, über Geschichtspolitik und den „Reflexions- und Identitätsverlust“ vieler SPD-Kollegen im Senat philosophiert, die die halbe Stadt verkaufen wollen und ihre Geschichte und eigene Kultur noch dazu, wird man das Gefühl nicht los: Flierl ist vieles – nur kein Kulturfunktionär, wie ihn Berlin in so vielen Facetten gesehen hat.

Seit über einem Jahr ist der „so genannte Kultursenator“, wie ihn bis dato Kritiker à la Dirigent Daniel Barenboim abkanzeln, im Amt. Doch statt dem Image seiner Vorgänger entsprechen zu wollen – wie der „Impresario“ Volker Hassemer, der „Zigeunerbaron“ Peter Radunski, der „Kulturverkäufer“ Christoph Stölzl oder wie die „Szene- und Powerfrau“ Adrienne Goehler –, entzieht sich Flierl scheinbar ganz bewusst den Klischees vom großen Zampano. Dass er die Kulturmetropole regelrecht lebt, lässt sich nicht sagen. Er tritt kaum bei Premieren auf und säuft nicht auf Vernissagen, er hält keine Reden bei Eröffnungen, er reißt keine Geldgeber oder Künstlerinnen auf, noch baut er ein Museum nach dem anderen. „Ich habe da ein anderes Verständnis. Ich arbeite. Und schüttle nicht nur Hände“, sagt er – ohne mit der Wimper zu zucken. Und: „Es geht doch um klare Konzepte, klares politisches Handeln. Es ist ein Vorurteil der Kulturszene, Präsenz schon für politische Wirksamkeit zu halten.“ Klingt das nicht nach einem alten linken Missverständnis, nur Strukturen sind wichtig, nicht Figuren?

Die Kulturkonzepte sind konzentriert im Kopf des Senators und in zwei großen schwarzen Aktentaschen verpackt, die unterwegs im Kofferraum der Limousine lagern. Wenn Flierl sie in den Landtag schleppt, sieht er aus wie ein überordentlicher Bürokrat, der schwer zu tragen hat. Ein Hammer oder Folterwerkzeuge gehören nicht zum Sortiment des Koffers. Flierls Strategie im Parlament und im Kulturausschuss ist eine der Vermittlung.

Alles andere, nur kein Ost-West-Spalter

Seit dem Großangriff von Finanzsenator Thilo Sarrazin auf kulturelle Institutionen hat sich Flierl quasi auf die asymmetrische Kriegsführung in der Kulturpolitik verlegt – was bedeutet, weniger auf Polarisierungen als vielmehr auf Reformprojekte und das große Ganze zu setzen. Mehrmals kommen ihm an diesem Montag die Begriffe vom „Erhalt der gesamtstädtischen Kulturlandschaft“, vom „gesamtstädtischen Kontext“ oder von der „Gesamtverantwortung für die Berliner Kultur“ über die Lippen. Dass es sich dabei zugleich lässiger über andere Fragen wie den geplanten neuen Standort der Berlinischen Galerie oder etwa den umstrittenen Verkauf des Metropol-Theaters argumentieren lässt, verbucht der Senator nebenbei als Erfolg: „Ich will nicht verschweigen, dass ich mich im Senat nicht mit meiner Position zum Metropol habe durchsetzen können“, sagt er. Alice Ströver, die streitbare grüne Ausschussvorsitzende, verdreht bei derartigen Bekenntnissen immer die Augen, wird aber nicht bissig. Er hat’s halt versucht, sagt ihr Blick an die Decke.

Manchmal schleppt sein Sprecher Torsten Wöhlert die Taschen. Wöhlert will nicht, dass Flierl zu sehr nur Kopf, sondern auch Bauch ist. Er mag seinen Kultursenator. Sie sind ein Team. „Flierl ist auch anders. Zu Hause bei ihm sieht es chaotisch aus, anarchistisch“, sagt er. Der Sprecher dirigiert den Fahrer durch die Stadt und ein wenig den Senator. Er sagt, „Thomas, Inforadio hat angerufen, willst du? Oder nicht?“ Er kennt den Tagesplan und die Terminfolge besser als sein Chef, sagt „Dahin jetzt“, wenn Flierl fragt: „Wohin nun?“, oder sucht Restaurants zum Essen aus. Jetzt meint er: „Fahren wir dorthin. Das ist bei uns um die Ecke.“

Um die Ecke ist der Osten der Stadt, aus dem auch Flierl kommt. 1957 wurde der Doktor der Philosophie dort geboren, sein Vater ist der bekannte DDR-Architekturkritiker Bruno Flierl, „der Architexter“, wie der Junior heute sagt. Dass der Sohn mit FDJ-Vergangenheit erst im DDR-Kulturministerium, dann als provinziell gescholtener PDS-Stadtrat für Kultur und später für Bauen in den Bezirken Prenzlauer Berg und Mitte aktiv war, bevor ihn die demokratischen Sozialisten – nach Absagen von Lothar Bisky und Gregor Gysi – quasi als zweite Garnitur auf den Schild für das Amt des Senators für Kultur und Wissenschaft hoben, ist noch immer Grund genug für die rot-roten Kritiker, Flierl selbst und die harten Anfänge seiner Amtszeit zu delegitimieren.

Alles andere als ein intel-lektuelles Leichtgewicht

„Zu zahm“ für die harten Bandagen im Regierungsring mit Klaus Wowereit befand ihn seine Vorgängerin Goehler bei den Verhandlungen über den Kulturetat. „Ohne Konzept“ sei Flierl vorgegangen, als er zuerst Mittel für Kulturstandorte der freien Szene kappen wollte, dies nach Protesten aber zurücknehmen musste, ätzte CDU-Kulturfrau Monika Grütters. Den Rauswurf Udo Zimmermanns als Intendant der Deutschen Oper an der Bismarckstraße sah die Grünen- sowie die CDU-Fraktion als Startzeichen, eine weitere Bühne in der westlichen City dichtzumachen. Dem Vorkämpfer für den Erhalt von Plattenbauten als Chiffren des sozialistischen Städtebaus und ihrer Identität traute man zu, als Rache für den Osten den Westen zu begraben. „Flierl ist irrelevant“, befand Barenboim über den Kultursenator, als der den Haushalt der Staatsoper anknapste. Und als diese Zeitung Katharina Thalbach fragte, was sie von ihrem Kultursenator halte, antwortete sie: „Gar nüscht“. Viel Feind’, viel Ehr’?

Es ist kein Geheinmis, Flierl hat in der kurzen Amtszeit Fehler gemacht. Es drohte ein Substanzverlust von ehedem schon wenigem. Und dass der Exponent östlich geprägter Ideologie sich schon mal im Nominalstil aus dem abgeschotteten akademischen Raum verheddert, galt ebenfalls als Steilvorlage für jene, die sich die Zeiten seiner quirligen Vorgängerin zurückwünschten. „Ästhetik der Aneignung. Studie zu weltanschaulich-methodologischen Grundproblemen der marxistisch-leninistischen Äthetik“ lautet der Titel seiner Doktorarbeit. Der Kultursenator ist kein intellektuelles Leichtgewicht, das wusste man. Doch ist er der Richtige in Zeiten medialer Vermittlung von Politik?

Der Wagen stoppt. Nicht vor dem Restaurant, sondern ein paar hundert Meter davor. Beim Essen kommt Thomas Flierl auf seine Lieblingsthemen zu sprechen: die „gesamtstädtische“ Opernlandschaft, die Koalitionsarbeit und die eigene Truppe – die PDS. „Wissen Sie, während bei Stölzl die Konzepte zur Opernreform nur durchgereicht wurden, habe ich mir das alles erarbeitet. Und darum gekämpft“, sagt er. Das Modell zur Opernstrukturreform ist bisher der größte Erfolg seiner Politik – und der Gegenbeweis für jene, die ihm noch die Spaltung der Stadt und seine westlichen Berührungsängste vorhalten. Keiner hat das vor mir geschafft, erklärt Flierl. Die drei Bühnen sollen erhalten und nicht fusioniert werden, sondern unter das gemeinsame Dach einer Stiftung, aber auch abspecken. Dass Flierl dabei die schwierige Balance zwischen der eigenen arbeitnehmerorientierten PDS-Klientel, den Sparvorgaben des Senats und den Eingriff in die komplexe west-östliche Bühnenlandschaft gelungen ist, gilt als ein besonderes Kunststück. „Ich habe mit allen Beteiligten geredet. Mit dem Bund, den Intendanten, Experten, Mitarbeitern und Bühnenverbänden. Darum finden diese sich auch in dem Papier wieder.“

Seit der Kultursenator nicht mehr allein auf der Ebene Berliner Lokalkultur gegen alles und alle agiert, sondern parteiübergreifend und geschickt den Diskurs in Richtung Bund und Staatsministerin Christina Weiss verlängert und dabei auch Akteure wie Antje Vollmer oder Richard von Weizsäcker einsetzt, greifen die Instrumente kultureller Profilierung.

„Dialogisch strukturierte Kulturpolitik“ nennt der Senator das Spiel zwischen Berlin und einer stärkeren Verpflichtung des Bundes bei der Hauptstadtkultur und erinnert dabei mehr an einen Kulturattaché auf diplomatischer Mission als an einen szenigen Kulturfreak.

Alles andere als ein Illusionist

Der breite Dialog ist auch eine Lebensversicherung: gegen den von Flierl „gefürchteten Durchgriff der Finanz- auf die Kulturpolitik“ und auch gegenüber Erwartungen der eigenen Partei. Es ist nicht nur schwierig, in Berlin Kultursenator zu sein, es ist „schwierig, PDS-Kultursenator zu sein“, sagt Flierl.

Projekte wie ein Denkmal für Rosa Luxemburg, ein Nein zum Wiederaufbau des Stadtschlosses und die kulturelle Nutzung des Palastes der Republik sähen manche PDSler dringender als eine Opernreform. „Das Streiten um alltagstaugliche Refomprojekte und das Ringen darum, was ist linke Politik, und das Festhalten am Konsoliderungskurs“ überfordere so manche im PDS-Haus. Er grinst und will damit sagen: Politik raubt Illusionen.

Der Kultursenator geht hinüber in seine Senatsverwaltung. Den Wagen braucht er erst später wieder. „Wer kommt jetzt?“, fragt er Wöhlert. Der weiß es. Flierl geht langsam den Park hinunter. Sehr langsam, dass man meint, er wolle heute eigentlich da gar nicht unbedingt hin. Er geht aber hin. Der Kluge geht in den Garten, heißt es in einem chinesischen Sprichwort.