Harmoniestörung wird erwartet

Auf der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen stehen spannende Kontroversen über die Umsetzung der geplanten Sozialreformen ins Haus

„Kürzungen allein sind keine Reformen“, so steht es im Antrag für die am Wochenende stattfindende Berliner Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen. Es könnte das Motto sein, allerdings kommt es nur klein gedruckt daher.

Der Berliner Landesverband wünscht eine „verteilungsgerechte“ Umsetzung der Reformen der sozialen Sicherungssysteme, die die speziellen Bedingungen der Länder mit berücksichtigt. Eine Arbeitslosenquote von 18 Prozent verlange andere Maßnahmen und ein anderes Verständnis für die gesellschaftlichen Prozesse innerhalb einer Gemeinschaft als eine Arbeitslosenquote von 6 Prozent, meint Till Heyer-Stuffer vom Landesvorstand der Berliner Grünen.

Kritisiert wird von Heyer-Stuffer und seiner Vorstandskollegin Almuth Tharan, dass die rot-grüne Bundesregierung nach der Verabschiedung der Hartz-Vorschläge und in Erwartung ihrer arbeitsplatzschaffenden Wirkung den Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit weggekürzt hat. Da die Maßnahmen aber so schnell nicht griffen und aufgrund der weltpolitischen und wirtschaftlichen Lage gar nicht greifen könnten, steht die Bundesanstalt nun ihrerseits vor dem Dilemma, sparen zu müssen. Nach vorliegenden Plänen träfen deren Kürzungen vor allem den Bereich der Qualifizierung. Anbieter von Qualifizierungsmaßnahmen sollen nur weiter gefördert werden, wenn 70 Prozent der Absolventen nach Abschluss des Lehrgangs in Arbeit vermittelt würden. Der Arbeitsmarkt Berlins gäbe eine solche Quote nicht her. In der Folge würde der Qualifizierungssektor zerschlagen. Ein Unding.

Außerdem warnt Tharan vor einer Differenzierung der Arbeitslosen in solche, die „arbeitsnah“ sind, wie die Arbeitslosengeldempfänger, und jene, die als „arbeitsfern“ eingestuft werden. Letztere erhalten ein so genanntes „Arbeitslosengeld II“ – eine auf Sozialhilfeniveau gesenkte und höchstwahrscheinlich über die Sozialämter ausbezahlte Unterstützung. Die Berliner Grünen befürchten, dass sich das Arbeitsamt vor allem um die Vermittlung von „Arbeitsnahen“ bemühen werde, da dadurch mehr Geld gespart werden könne. Behinderte, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Migranten und Frauen hätten das Nachsehen. Dass die sozialen Sicherungssysteme reformiert werden müssten, dies verstünde die Mehrzahl der Bundesbürger und -bürgerinnen, sagt Tharan. Dass die Reformen zu Lasten der Menschen gingen, die ohnehin wenig Geld zur Verfügung hätten, das verstünden sie nicht.

Neben diesen das grüne Harmoniebedürfnis störenden Themen steht die Wahl des „erweiterten Landesvorstandes“ auf dem Programm. Ihm soll es endlich gelingen, die Bundestags- und Abgeordnetenhausfraktion mit der Partei und der Basis zu vernetzen. WALTRAUD SCHWAB