„Jeder ist austauschbar“

Die NFL Europe startet in die Saison – ohne Running Back Kim Kuci. Der zweifache World-Bowl-Gewinner, künftig nur noch für die Braunschweig Lions aktiv, über das Erfolgsgeheimnis von Berlin Thunder und Unterschiede zwischen Bundesliga und NFL

Interview THOMAS WINKLER

taz: An diesem Wochenende startet Ihr altes Team Berlin Thunder in die neue Saison der NFL Europe. Haben Sie Angst, die große Bühne zu vermissen?

Kuci: Nein, die Braunschweig Lions haben in der Bundesliga sogar einen etwas besseren Zuschauerschnitt als Thunder. Da kommen teilweise 20.000.

Was war Ihr schönster Moment in der NFL Europe?

Da gab es viele. Das Highlight war natürlich die erste World Bowl. Das war nicht nur überhaupt die erste Meisterschaft, die ich je gewonnen habe, sondern das Finale fand auch noch in der tollen Arena in Amsterdam statt, der Heimatstadt meiner Mutter. Aber schon die erste Nominierung war eine kleine Überraschung, schließlich war ich damals Zweitligaspieler bei den Berlin Rebels. Seitdem lebe ich mehr oder weniger vom Football, abgesehen von einem kleinen Zubrot als Fitnesstrainer.

Was lernt ein Spieler in der NFL-E, was er nicht auch in der Bundesliga lernen könnte?

Der größte Unterschied ist immer Speed. Zwischen allen Ebenen, ob zwischen zweiter Bundesliga und erster, zwischen Bundesliga und NFL Europe, überall ist der entscheidende Unterschied die Geschwindigkeit, in der das Spiel gespielt wird, in der man Entscheidungen treffen muss. Für einen Running Back bedeutet das: Wie schnell gehen die Löcher in der Verteidigung auf und wieder zu. Wenn ich nach der NFL Europe zurückkam in die Bundesliga, hatte ich normalerweise ein bis zwei schlechte Spiele, weil ich immer noch den schnelleren Gamespeed der NFL Europe draufhatte. Es kam immer wieder vor, dass ich von einem Loch wegging, das für mich schon zu war, während es in Wirklichkeit aber so langsam kollabierte, dass ich dreimal hätte durchlaufen können.

Wird der Abstand zwischen den Amerikanern und dem Rest der Welt geringer?

Ich habe schon gemerkt, dass der Abstand verkürzt worden ist. Ein Spieler wie Leland Brickus [dt. Defensive Back bei Thunder, Anm. d. Red.] ist vielleicht sogar schon besser als seine US-Kollegen, aber hat halt noch nicht dieselbe Spielerfahrung. Ein deutscher Spieler hat einfach nicht dieselbe Schule durchlaufen, sondern frühestens mit 15 Jahren mit Football angefangen.

Wie ist das Verhältnis zwischen den europäischen Spielern und den US-Profis?

Eigentlich sehr gut, weil wir für die Amerikaner das Bindeglied sind zu dieser für sie sehr fremden Kultur. Es gibt wie in jeder Gruppe immer ein paar Leute, die besonders gut miteinander auskommen, die immer zusammen abhängen.

Gehen die Amerikaner prinzipiell verbissener an die NFL Europe heran, weil es für sie um die Existenz geht?

Jeder weiß, dass es weitreichende Konsequenzen hat, welche Leistung er hier bringt. Aber während der Saison steht der Spaß im Vordergrund, schließlich werden wir dafür bezahlt, das zu tun, was wir lieben.

Ist es möglich, dass der Teamgeist leidet aufgrund des Irakkrieges?

Das ist reine Spekulation, aber ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Klar ist Football ein Macho-Sport, aber genau deshalb sind auch politische Gespräche nicht gerade an der Tagesordnung in der Umkleidekabine. Ich denke, die Amerikaner, die damit wirklich Probleme hätten, die würden erst gar nicht nach Europa kommen.

Warum ist Thunder-Coach Peter Vaas so erfolgreich in der NFL Europe?

Vaas ist der Teamgeist sehr wichtig. Wenn einer nicht ins Team passt, dann kann der so gut sein, wie er will. In seinem ersten Jahr in Berlin hat er unseren besten Receiver, Damon Dunn, nach Hause geschickt, weil der Allüren entwickelte. Es kommt für die Coaches nicht unbedingt darauf an, die elf besten Athleten zu finden, sondern die elf, die zusammen das beste Team ergeben. Diese Chemie zu konstruieren ist nicht ganz einfach, wenn die Teams jedes Jahr völlig neu zusammengewürfelt werden.

Ist ein weiterer Grund, dass Vaas im Gegensatz zu anderen Football-Trainern taktisch einfach spielen lässt und seinen Spielern so viel Verantwortung übergibt?

Klar, das macht eine Menge aus bei dieser kurzen Vorbereitungsphase, die man in der NFL Europe hat. Generell gilt: lieber einen einfachen Spielzug, den alle elf kapieren, die auf dem Feld stehen, als einen komplizierten, den dann vielleicht einer versaut, weil er sich nicht dran erinnern kann.

Football gilt als Rasenschach, bei dem sich zwei Trainer-Genies auszumanövrieren suchen. Wie fühlt man sich da als Spieler, der seine blauen Flecken zählt?

Jeder ist austauschbar: Das tut weh, wenn man es hört, aber so ist es halt. Aber in dem Moment, wo man auf dem Spielfeld steht, ist einem das egal. Da versucht man seinen Job zu machen, und den so gut wie möglich. Und das nicht, weil da eine Kamera steht, sondern weil dieser Überlebenswille durchkommt beim Duell Mann gegen Mann. Zwar kriegt man selber auch mal einen mit, dass man nicht mehr weiß, wo einem der Helm sitzt. Aber in welchem anderen Mannschaftssport kann man seinem Gegner körperlich zeigen, wer hier der Chef auf dem Platz ist?

Sind die Amerikaner nach drei Wochen Vorbereitung im sonnigen Florida schockiert vom grauen Berlin?

Nein, im Gegenteil, die sind immer sehr begeistert von Berlin. Für die meisten ist es überhaupt der erste Auslandsaufenthalt. Die sind dann mitunter schon beeindruckt, dass Deutschland nicht Dritte Welt ist, dass alles fast wie zu Hause ist, es richtige Autos gibt und Strom aus der Steckdose kommt.

Stimmt es, dass Barcelona die bei den Spielern beliebteste NFL-Europe-Stadt ist?

Da hätte ich tatsächlich auch gerne mal gespielt. Die Barcelona Dragons wohnen in einem Hotel direkt an der Strandpromenade und trainieren nur vormittags. Die können nachmittags schön am Strand chillen. Um die Ecke gab es gleich einen Straßenzug mit Cafés und Discos.

Ist das Geheimnis des Berliner Erfolgs womöglich das abgelegene Teamhotel am Stadtrand?

Vielleicht ja.