Denn sie wissen nicht, was sie tun

Assessment Center sollen Managernachwuchs trainieren und auf die Probe stellen. Doch viele dieser Prüfungen sind vonder Stange und haben wenig Aussagekraft. Vor allem Selbstdarsteller freuen sich über die vermeintlichen Simulationen

von PETER HERMANNS

Jörn Heinrichs* hat es fast geschafft. Der 35-jährige Softwareentwickler einer süddeutschen IT-Firma wird beauftragt, eine „strategische Maßnahme zur Zukunftssicherung des Unternehmens“ zu erarbeiten. Gelingt ihm ein tragfähiger Entwurf, winken „500.000 Euro“, mit der Heinrichs sein Projekt „in die Tat umsetzen“ soll. Vor dem großen Geldsegen muss Heinrichs allerdings noch eine weitere Hürde überspringen: Vier Kollegen aus anderen Abteilungen haben nämlich den gleichen Auftrag erhalten. Zusammen sollen sie ihre Pläne in einer Konferenz vorstellen und dort gemeinsam darüber befinden, wessen Konzept das zukunftsweisende sein soll. Denn die halbe Million wird nur einmal „vergeben“.

Was Jörn Heinrichs in nur drei Tagen entwickelt, kann sich sehen lassen. Dennoch favorisiert er in der Besprechung das Vorhaben eines Konkurrenten. Dessen Vorhaben erscheint ihm ebenso geeignet wie sein eigenes, ließe sich aber im Gegensatz dazu kurzfristig umsetzen. Heinrichs’ Votum ist konsequent: Eine schnelle Realisierung hatten die Teilnehmer gemeinsam als ein Entscheidungskriterium festgelegt. Im Übrigen steht für ihn fest: Egoistische Motive müssen zurücktreten, wenn es um „zentrale Interessen des Unternehmens“ geht.

In Heinrichs simulierter „Spielgeldwelt“ eines Assessment Centers (AC) wird das allerdings anders beurteilt. Hier wird nicht bewertet, ob das Geld sinnvoll eingesetzt wird und mit dem erarbeiteten Konzept das angestrebte Ziel erreicht werden kann. Das Augenmerk der Beobachter richtet sich ausschließlich auf so genannte Schlüsselkompetenzen wie Teamfähigkeit, Stressresistenz oder Durchsetzungsvermögen, die das Unternehmen von seinen zukünftigen Führungskräften erwartet. Welche Eigenschaften in den einzelnen Übungen jeweils überprüft werden, sollte den Teilnehmern allerdings vorher bekannt sein, fordert der Hamburger „Arbeitskreis Assessment Center“. In dem Verein arbeiten knapp 100 Experten aus Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen an der Entwicklung und Verbesserung von Methoden der qualitativen Personalarbeit. „Wer nicht weiß, worum es geht, kann sich auch nicht geeignet verhalten“, heißt es in den „Standards der Assessment Center-Technik“, die der Arbeitskreis entwickelt hat.

Doch diese Auffassung fällt nicht immer auf fruchtbaren Boden, wie auch Jörn Heinrichs erlebt hat. In der simulierten Konferenz wusste keiner der Teilnehmer, dass der Prüfstein der Übung die Durchsetzung des eigenen Entwurfs war – auch bei offen sichtlichen konzeptionellen Schwächen. Als Heinrichs im Feedback-Gespräch mit einer externen AC-Beraterin anmerkt, die Arbeitsvorgabe sei die Einigung der Gruppe auf das bestgeeignete Konzept gewesen und nicht die Durchsetzung der eigenen Interessen, entgegnet seine Gesprächspartnerin: „Da werden sie in der Realität nur ausgelacht.“

Wie Heinrichs’ Alltagsrealität in der angestrebten Position aber aussehen wird, weiß die Psychologin nicht. Mit Entscheidungen dieser Tragweite hätte er dort jedenfalls nichts zu tun. Zwar ist es ohnehin eine Chimäre, dass in ACs Situationen so simuliert werden können, wie sie in Wirklichkeit anzutreffen sind. Aber auch die von Fachleuten verlangte Realitätsannäherung bleibt nicht selten auf der Strecke. Christoph Hühnerbein-Sollmann, der zu diesem Thema an der Universität Duisburg promovierte, wies nach, dass die Flut von AC-Anbietern am Markt das Verfahren mehrheitlich aus der Literatur übernehmen, anstatt es an die Bedürfnisse und Umstände des jeweiligen Unternehmens anzupassen.

Ihre Intention ist es vor allem, schnell Geld zu verdienen, weshalb der Qualitätsaspekt schon mal in den Hintergrund rückt. Ein Problem, das auch Helmuth Schöning, Vorstandsmitglied im „Arbeitskreis Assessment Center“, bekannt ist: „Ein seriöses AC setzt immer eine vernünftige Anforderungsanalyse voraus, der die einzelnen Übungen angepasst werden müssen.“

Dass sich weniger seriöse ACs überhaupt verkaufen lassen, liegt nicht zuletzt am Kostendruck der nachfragenden Unternehmen. Sie wollen Qualität zum Dumpingpreis oder, wie es der AC-Kritiker und Erfolgsautor Tom Ullrich formuliert, „einen Maßanzug von der Stange“. Doch damit bekommen sie nur ein Verfahren „mit niedrigem Aussagewert und hohem Spaßfaktor“, so Ullrich.

Da freuen sich Selbstdarsteller und Amateurschauspieler. In der Präsentationsaufgabe etwa (siehe auch Kasten) finden sie ein geeignetes Forum: Einem geneigten Publikum soll schon mal in stoppuhrgemessenen drei Minuten eine komplette Projektkonzeption dargelegt werden – natürlich vollständig, nachvollziehbar und rhetorisch fesselnd.

Jörn Heinrichs hat es jedenfalls trotz seines „Patzers“ geschafft. Er wird die angestrebte Stelle erhalten, denn andere Übungen hat er im Sinne der Beobachter gemeistert. Welche Aussagekraft das in Bezug auf den neuen Job hat, wird sich noch erweisen müssen. Die Treffergenauigkeit des Verfahrens liegt laut Ullrich bei etwa 40 Prozent – vorausgesetzt, es war kein AC „von der Stange“.

* Name von der Redaktion geändert.