Echter Kerl, so einfühlsam

Ein neues Männerbild bestimmt den US-Wahlkampf: Alphatiere sind out. Führungsstärke und Integrität sind in. John F. Kerry hat dies und gute Chancen, heute in Tennessee und Virginia zu siegen

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Präsident George W. Bush konnte zwar nie ganze Sätze bilden, verfügte aber lange Zeit über eine in den Augen der meisten Amerikaner und zum Leidwesen der Demokraten unschlagbare Eigenschaft: Er war ein Leitbulle. Selbst Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice gestand einmal, dass sie dieser Wesenszug schwach macht. Auf den 11. September reagierte Bush kriegerisch und entschlossen. Die Terroristen wollte er „jagen und ausräuchern“. Das kam im Volk gut an. Die Demokraten hingegen jammerten über den Irakkrieg und wurden bei den Kongresswahlen 2002 abgestraft. Die Ära Bush junior schien noch weitere fünf Jahre ungefährdet.

Doch dann kam Howard Dean. Und die Republikaner bekamen erstmals weiche Knie. Denn plötzlich war offenbar nicht nur ein Wettlauf um das Weiße Haus, sondern auch um die größte Männlichkeit ausgebrochen.

Der Antikriegsheld Dean galt als das Alphatier schlechthin. „Schaut hinter die Fassade von Deans hitzigem Gemüt, und ihr findet den unterschwelligen Grund für seinen Erfolg: Er ist maskulin“, schrieb Richard Goldstein im Magazin The Nation. Und Kolumnistin Dorothy Rabinowitz vom Wall Street Journal schwärmte, Dean habe mit seinem hervorstechenden Kiefer das angriffslustigste Gesicht. Seine Artverwandtschaft mit Bush – aggressiv, unbeirrbar, ungehobelt – schien noch Anfang Januar das beste Rüstzeug, um es mit dem raubeinigen Texaner aufnehmen zu können.

Während die Meinungsmacher sich bereits auf das Duell Bush – Dean einschossen, schickte sich ein anderer an, Dean an Männlichkeit auszustechen: John F. Kerry. Monatelang kam er wie eine traurige Bulldogge daher und konnte dem wilden Löwen Dean nicht Paroli bieten. Dabei war doch er der Vietnamveteran, der Kriegserprobte, verwundet und mit Orden ausgezeichnet. Vielleicht lag es an den Nachwirkungen seiner Krebsoperation oder der späten Einsicht, dass man im heutigen Amerika mit außenpolitischer Erfahrung allein keine Wahlen gewinnt. So legte er immer öfter das Gewand des Senators ab. Stattdessen fuhr er Harley, spielte Eishockey, jagte mit Farmern, kam in Lederjacke in die „Late Night Show“ und mimt fortan den „tough guy“, wo es nur geht.

Dieses Verhalten könnte lediglich der Versuch sein, einen Imagewechsel vorzunehmen: vom Patrizier aus Neuengland, dem entrückten Kongress-Politiker im feinen Zwirn, zum Mann von nebenan. Schließlich gilt Bush als volksnah, der gerne mit dem Pick-up-Truck durchs Dorf fährt und erzählt, wie er auf seiner Ranch Bäume fällt. Doch Kolumnist George Will von der Washington Post glaubt, dies seien notwendige Häutungen, um in der gegenwärtigen US-Politik erfolgreich zu sein, die durch den „Rückzug von der Feminisierung der Politik“ charakterisiert werde und „weiche“ Politikfelder wie Gesundheit und Soziales dem „harten“ Geschäft der Landesverteidigung opfere. Dazu gehöre eben auch, argumentiert Goldstein, dass ein Kandidat unter Beweis stellten könne, ein „echter Mann, ein ganzer Kerl“ zu sein.

Nun ist Maskulinität in der US-Politik schon immer ein wichtiger Faktor gewesen. Siehe Ronald Reagan. Oder JFK. Da hieß es jedoch „Sex Appeal“. „Die öffentliche Debatte fokussiert selten auf Männlichkeit“, sagt Hastings Wyman vom Southern Political Report. Entscheidend sei vielmehr, ob jemand charismatisch sei. Dass der Begriff Männlichkeit und die ihm zugeordneten Attribute zudem keinesfalls negativ wahrgenommen werden, zeigt kein anderer als Dean. Von allen demokratischen Bewerbern hatte der „angry man“ auf Frauen lange die stärkste Ausstrahlung. Er bekomme von Frauen mehr Unterstützung als von Männern, sagt Susan Franzosa vom Frauenforschungsprogramm der University of New Hampshire. Doch er verkörpere ein komplexeres Männerbild. Der praktizierende Arzt habe eine einfühlsame Seite, wisse aus alltäglicher Erfahrung um soziale Probleme. „Viele Frauen schätzen dies und mögen Bushs altbackenes, traditionell männliches Rollenbild nicht“, sagt sie.

Nun ist Dean aus dem Rennen, nicht weil er zu viel oder zu wenig männlich ist, sondern auch Frauen rational wählen und Kerry eher zutrauen, Bush zu schlagen. Frauen und Männer gleichermaßen wünschen sich vor allem einen Kandidaten, der zwei Eigenschaften besitzt: Integrität und Führungsstärke. Manisches Brüllen, wie Dean es nach seiner Niederlage in Iowa tat, mag einen hohen Testosteronspiegel anzeigen, gehört aber nicht dazu.

Da Führungsstärke eine projizierte Qualität für einen Bewerber ist, wird naturgemäß seine Integrität überprüft. Hierbei half Kerry maßgeblich seine zutiefst männliche Vietnam-Erfahrung. Das Gewicht des Kriegsheldenfaktors ist also unbestritten. Ihn jedoch als Indiz für die neue Maskulinität in der Politik zu nehmen, ist übertrieben – es sei denn, man argumentiert, Frauen verstünden nun einmal nichts vom Krieg. In einem US-Wahljahr, in dem erstmals seit 30 Jahren täglich GIs sterben, ist er vielmehr der Wunsch nach weiser Führung in unsicheren Zeiten. Amerikaner wollen sich jemandem anvertrauen, der selbst im Schützengraben lag und zum Kriegsgegner wurde, da er sich von seiner eigenen Regierung verraten fühlte, der es an Führung mangelte, um den sinnlosen Krieg zu beenden. Einer, der sich daher als weitsichtig genug erweisen könnte, Führungsstärke nicht mit Abenteurertum zu verwechseln.