IM KOPFTUCH-STREIT KANN DEUTSCHLAND VON FRANKREICH LERNEN
: Selektion diskriminiert

Heute Nachmittag wird die große Mehrheit der französischen Abgeordneten einem Gesetz zustimmen, das das Tragen von ostentativen religiösen Symbolen an der Schule verbietet. Das Gesetz soll für alle SchülerInnen gleichermaßen gelten und für das gesamte französische Territorium – inklusive der überseeischen Departements, in denen die Mehrheit der Bewohner MuslimInnen sind. Damit wird ein vorläufiger Schlussstrich unter die Kopftuchdebatte gezogen.

Mit der strikten Trennung von Staat und Religion wird der Laizismus bestätigt – ein Prinzip, das so alt ist wie die Revolution. Über Sinn und Unsinn eines neuen Gesetzes, das einen Einzelaspekt – die Kleiderordnung – aus einem alten Gesetz herausgreift, um ihn angesichts eines neuen Problems – des Kopftuchs – erneut zu bestätigen, kann man streiten.

Fest steht jedoch, dass Frankreich gegenüber jenen europäischen Ländern, die ihre Kirchen nie radikal entmachtet haben, das Thema „Kopftuch“ grundsätzlich anders diskutiert. Statt sich allein auf ein islamisches Symbol zu konzentrieren, haben die französischen PolitikerInnen ihre Debatte auf sämtliche religiösen Symbole ausgedehnt. Zumindest formal.

Von diesem Gleichheitsprinzip im Umgang mit Religionen kann man auch in Deutschland lernen. Eine Einwanderungsgesellschaft kann es sich nicht erlauben, einzelne religiöse Zeichen zu verbieten, während sie gleichzeitig andere staatlich unterstützt. Ein derart selektiver Umgang ist Diskriminierung.

Die FranzösInnen schätzen den Laizismus. Sie sind überzeugt, dass er eine Garantie für das friedliche Zusammenleben von verschiedenen Kulturen, Religionen und Sprachen auf einem Territorium ist. Und dass er besser für die Integration ist als die angelsächsische Art, wo Einwanderungsgruppen oft über Generationen hinweg getrennt voneinander leben und arbeiten.

Andererseits spüren ganz besonders die FranzösInnen aus den jüngsten Einwanderungsgenerationen – die mehrheitlich aus muslimischen Ländern stammen –, dass die Integration ins Stocken geraten ist. Nicht so sehr wegen der Widersprüche im Laizismus – wo zum Beispiel in den einst deutsch besetzten Gebieten Elsaß und Lothringen immer noch ein Konkordat mit dem Vatikan gilt –, sondern vor allem, weil sämtliche sozialen Probleme verstärkt EinwanderInnen treffen. An dieser Diskriminierung ändert weder das Kopftuchtragen etwas noch sein Gegenstück, das Verbot. Um dagegen vorzugehen, ist ein anderes politisches Engagement nötig. Das steht auch in Paris leider nicht auf der Agenda. DOROTHEA HAHN