Präsidentschaftskandidat verschwunden

Iwan Rybkin ist einer der Herausforderer des russischen Präsidenten – und einer seiner mutigsten Kritiker. Seit vergangenen Donnerstag weiß niemand, wo er sich aufhält. Zuvor hatte er in einer ganzseitigen Zeitungsanzeige Putin scharf angegriffen

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Wie alle Herausforderer des amtierenden Kremlchefs Wladimir Putin hat Iwan Rybkin bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen keine Chance. Bestenfalls mit einem Prozent der Stimmen darf er rechnen. Ambitionen auf den Thron hegt der 57-jährige Politiker aber gar nicht. Seine Rolle ist die des Mahners. Rybkin zählt zu den mutigsten Kritikern des Kremls, seitdem Putin die Geschäfte dort übernommen hat.

Seit Donnerstag ist der ehemalige Dumavorsitzende verschwunden. Nach einem Anruf verließ der Vollblutpolitiker gegen Abend das Haus und tauchte auch am nächsten Tag zur offiziellen Zulassung als Präsidentschaftskandidat in der Zentralen Wahlkommission nicht auf. Am Sonntag gab seine Frau dann eine Vermisstenanzeige auf.

Rybkin ist ein enger Vertrauter des Oligarchen Boris Beresowski. Der bei Putin in Ungnade gefallene Finanzmogul hatte unter Präsident Boris Jelzin noch die Rolle einer grauen Eminenz im Kreml inne, bevor er von dessen Nachfolger ins Exil getrieben wurde. Seither versucht Beresowski mit der Liberalen Partei eine oppositionelle Kraft zum Kreml zu etablieren, bei der sich auch Rybkin engagierte.

Vor einer Woche meldete sich Rybkin in einer ganzseitigen Anzeige in der Zeitung Kommersant zu Wort, die noch zum Beresowski-Imperium gehört. Der provokante Titel: „Putin hat nicht das Recht auf die Macht in Russland“. Rybkin, der unter Jelzin auch Chef des Sicherheitsrates beim Präsidenten war, nannte Geschäftsleute und Banken aus dem engsten Umkreis des amtierenden Präsidenten, die unter seiner Ägide – angeblich – ein riesiges Vermögen angesammelt haben. Dazu gehören auch Beteiligungen an dem Ölgiganten Surgutneftegas sowie an TV-Sendern, die der Kreml wirtschaftlich erst unter die Knute gezwungen und dann politisch gleichgeschaltet hatte. „Macht und Geld lassen sich in diktatorischen Regimen nicht trennen“, so Rybkin. „Ich versichere: Der größte Oligarch Russlands ist heute W. W. Putin.“

Darüber konnten der Kreml und der Geheimdienst FSB sicherlich nicht schmunzeln. Schon gar nicht über den Schluss des Textes: „Kann so ein Mensch die Führerschaft in unserem großen Land beanspruchen?“ Das hat für Verärgerung gesorgt, zumal die Quelle einige Glaubwürdigkeit besitzt.

Im Vergleich zu anderen Politikern eilt Rybkin der Ruf voraus, nicht korrumpierbar zu sein. Dass er mehr Mut besitzt als viele seiner Kollegen, hat er des Öfteren unter Beweis gestellt. Besonders in seiner klaren Haltung zu Putins Feldzug in Tschetschenien, womit er sich unter den willfährigen Kremlhöflingen keine Freunde gemacht hat.

Mitarbeiter, die in den Regionen für Rybkins Kandidatur Unterschriften sammelten, bekamen nach der Anzeige Schwierigkeiten. Einige von ihnen wurden sogar von der Polizei vernommen. Der Russkij Kurjer berichtete außerdem, am Mittwoch vergangener Woche sei ein Mitarbeiter seines Wahlstabes verhaftet worden. Wiktor Fedoruk wird Unterschriftenfälschung großen Umfangs vorgeworfen. Die Zentrale Wahlkommission (ZWK) stellte am Freitag zunächst fest, 26 Prozent der Unterschriften seien gefälscht, ein Prozent mehr, als eine Teilnahme erlauben würde.

Aus dem fernen Kamtschatka meldete sich sogar eine lokale Wahlbehörde, die Rybkins Unterschriftensammlern Fälschungen unterstellten. Zu guter Letzt registrierte die ZWK Rybkin dennoch als Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen – nach seinem spurlosen Verschwinden. Bisher ist über sein Verbleiben nichts bekannt.