Selbstmord als offener Protest

Zwei Menschen haben sich in dieser Woche in Tschechien verbrannt. Experte macht gesamtgesellschaftliche Depression dafür verantwortlich

aus Prag ULRIKE BRAUN

Sie übergossen sich mit Benzin und zündeten sich an. Gleich zwei Tschechen beendeten am Dienstag so ihr Leben. Im westböhmischen Pilsen verbrannte sich in der Nacht von Montag auf Dienstag ein 21-jähriger Student, weil er, wie er in seinem Abschiedsbrief erklärt, in dieser Welt nicht mehr leben könne. Am Dienstagabend wählte ein 32-Jähriger in Prag dieselbe Todesart.

Seit Beginn dieses Jahres haben sich in Tschechien schon fünf Menschen selbst in Flammen gesetzt, genauso viel wie im Zeitraum zwischen 1996 und 2002. Weitläufig diskutiert wurde der Selbstmord des 19-jährigen Zdenek Adamec, der sich Anfang März auf dem Prager Wenzelsplatz verbrannte. Adamec, ein Computerfreak aus Ostböhmen, gab unter anderem Unzufriedenheit mit den Zuständen in der Tschechischen Republik als Grund für seinen Selbstmord an. „Bitte, macht keinen Verrückten aus mir“, schloss er seinen Abschiedsbrief. Vor drei Wochen steckte sich ein 21-Jähriger im Garten seiner Eltern in Brand. Dank des Einschreitens seiner Mutter überlebte er und liegt jetzt mit Verbrennungen höchsten Grades im Krankenhaus. Die verkohlte Leiche einer Selbstmörderin fand die Polizei vor zwei Wochen auf dem Brünner Zentralfriedhof. Bis jetzt ist es noch nicht gelungen, die Tote zu identifizieren.

Warum gerade der Tod durch Selbstverbrennung in Tschechien geradezu populär zu sein scheint, wirft beunruhigende Fragen auf. Der Psychologe Petr Brickcin sieht den Grund der derzeitigen Selbstmordwelle in einer „gesamtgesellschaftlichen Depression“, die Selbstverbrennung bezeichnet er dabei als das Verlangen, „gesehen zu werden“.

Zweifelsohne ist diese Todesart mit Protest verbunden. Beispiel: Jan Palach. Nach dem Scheitern des „Prager Frühlings“ durch den Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei im August 1968 verbrannte sich der Student der Prager Karlsuniversität fünf Monate später auf dem Prager Wenzelsplatz. Dadurch wollte er die Tschechen aufrütteln, nicht in dem von außen aufgedrückten Normalisierungskommunismus zu resignieren.

Auch Palach, dem dafür bis heute etwas Heldenhaftes anhaftet, hatte seine Nachahmer. Kurz nach seiner Selbstverbrennung im Januar 1969, zündete sich ein weiterer Student, Jan Zajic, an. Das kommunistische Regime von damals befürchtete ernsthaft eine Verschwörung.

„Tief betroffen“ zeigte sich der tschechische Präsident Václav Klaus, als er von den beiden Selbstverbrennungen am Dienstag erfuhr. In einem offenen Brief appellierte das Staatsoberhaupt, sich nicht mehr und vor allem nicht mehr so demonstrativ umzubringen. „Es ist jeden Fall ein Versagen, wenn man eine bestimmte Lebensetappe nicht meistert, deren Lösung-Nichtlösung dann sogar ein freiwilliger und dazu noch demonstrativer Abgang aus dieser Welt wird“, sagt Klaus: „Machen Sie das bitte nicht. Sie schaden damit vielen anderen Leuten.“