Durch den Abend getappert

Unverständlich und meist knochentrocken: Rossinis „Barbier von Sevilla“

Der fast schon betretene Schlussbeifall gibt zu denken

Der Anfang der Premiere im Musicaltheater war vielversprechend: Zu der prickelnd-soghaften Ouvertüre von Gioacchino Rossinis „Il Barbiere di Sevilla“ lässt Regisseurin Carolyn Sittig die Figuren wie an Marionettenfäden zwischen anonymen Hochhäusern (Bühne: Johann Jörg) herumgehen. Damit wird schon Wesentliches und Richtiges zur Zeit der Restauration entstandenen Werkes gesagt: Die fremdgesteuerten Figuren agieren ihre persönlichen Interessen – oder das, was sie dafür halten – aus, und machen weder vor Bestechung noch Heuchelei Halt.

Leider aber wird diese Idee im Laufe der Aufführung weder konsequent vorgeführt noch stringent eingehalten. Zu einem Tanz auf dem Vulkan, der das Lachen erlaubt, aber auch den Kloß im Hals hervorbringt, stößt diese Aufführung im ersten Akt an keiner und im zweiten an nur wenigen Stellen vor. Sie bleibt über große Strecken unverständlich und knochentrocken.

Immerhin lässt Sittig am Höhepunkt der turbulenten Konfusion das gesamte Haus real zusammenbrechen. Die Spannung der Figuren zwischen Marionettenhaftigkeit und Persönlichkeit jedoch ist so gut wie nie zu sehen. Rosina, das wie in Leibeigenschaft lebende Mündel des Doktor Bartolo, der eher unsympathische Ancien-Régime-Vertreter Almaviva, dessen verspielte Liebe zu Rosina man keine Sekunde ernst nimmt, Figaro, der den Mächtigen eins auswischt: Alles bleibt undeutlich und weitgehend beliebig. Es fehlen innere und äußere Tempowechsel, es mangelt an grotesker Situationskomik. Und wenn sie da ist, bleibt sie aufgesetzt.

Einzig die Selbstmord-Arie der Haushälterin Berta, die ob des Chaos keinen Ausweg mehr sieht und die Katherine Stone – vor 22 Jahren in Bremen die Rosina – hervorragend sang, hatte einen bewegenden Stellenwert.

Eine brauchbare Idee Sittigs war die Offenlegung der Mechanismen des Theaters – Rosina darf tief durchatmen, als sie mit ihrer großen Arie fertig ist – , aber auch das ergab kein einheitliches Stilkonzept.

Nun hatte die Regisseurin leider auch keine ausreichende Unterstützung in der musikalischen Wiedergabe. Graham Jackson vermied fast jeden Kick, den diese rasante Musik hat, tapperte mit den Bremer Philharmonikern mehr oder weniger gemütlich und auch nicht immer genau durch den Abend. Katharina von Bülow als Rosina und Christoph Wittmann als Almaviva fehlen trotz schauspielerischer Präsenz zuviel an „Italianità“, an belcantistischem Timbre und Schmelz, um in diesen enorm exponierten Rollen wirklich zu überzeugen.

Karsten Küsters als Bartolo – den er auch schon vor 22 Jahren sang – und vor allem Armin Kolarczyck, dessen quirlige Präsenz als Figaro so manche Szene regelrecht rettete, kamen dem italienischen Ursprung erheblich näher. Und Karl Huml mit seiner berühmten Verleumdungsarie? Sie ist ohne das bedrohliche Orchestercrescendo überhaupt nicht zu realisieren, musste also verpuffen. Der Beifall nach der Auftrittsarie des Figaro war stärker als der ganze laue, fast schon betretene Schlussbeifall zusammen. Allein das gibt zu denken.

Ute Schalz-Laurenze