berliner szenen Auferstehung

Beim Wildwasserrafting

Es sah wirklich nicht gut aus an diesem Tag. In der Stabi waren alle Bücher zum Thema Melancholie ausgeliehen und x-mal vorbestellt. Dann eben nicht. Also erst mal am nächsten Kiosk eine Tüte Weingummi besorgt. Und schnurstracks mit der U-Bahn zurück in Richtung nördlicher Prenzlauer Berg.

Am Alex stieg ich noch mal aus, um bei Saturn eine CD zu kaufen, irgendwas gegen den Blues. Auf der Rolltreppenfahrt in das Untergeschoss dröhnte aus den Lautsprechern „Don’t pay the ferryman“ von Chris de Burgh. Auch das noch. Leicht abgelenkt versuchte ich den Weingummi-Euro, der sich unter meiner Zunge festgesaugt hatte, wieder loszubekommen. Am Fuß der Rolltreppe wäre ich dabei fast in eine Wand aus Videomonitoren gestolpert, die jetzt in Zeitlupe mein ungelenkes Ausweichmanöver zeigten. In der CD-Abteilung stieß ich am Klassikregal mit jemandem zusammen. Wir blickten uns überrascht an.

Es war mein ehemaliger Klassenkamerad R., von dem ich seit den späten Achtzigerjahren kein Sterbenswörtchen mehr gehört hatte. „Oh, hm, ja, ich dachte, du wärst tot!?“, fragte R. irgendwie pietätvoll. „Nein, tut mir Leid“, sagte ich, fast selbst etwas betroffen. „Du bist also nicht beim Wildwasserrafting in Extremadura ertrunken!?“ – „Nein“, antwortete ich, „ich komme in letzer Zeit selten raus aus Berlin.“

R. war die Sache peinlich. „Tja, na dann, ’tschuldigung, ich muss dann wieder, und noch einen schönen Tag!“, sagte er und verschwand eilig in Richtung Haushaltsgeräteabteilung. Ich wählte eine Jazz-CD aus und fuhr irgendwie erleichtert die Rolltreppe hinauf. Nur beim Bezahlen mit der EC-Karte wurde ich plötzlich nervös: „Was ist, wenn mein Girokonto nicht mehr existiert!?“

ANSGAR WARNER