Spätere Bindung ausgeschlossen

Es war alles noch da: Teen-Appeal, kluges Zitat, Unverschämtheit, Lebensfreude. Sogar die genmanipulierten Koteletten. Trotzdem sprang der Funke nicht über, als Supergrass am Freitagabend im Columbia Fritz spielten

Was war das eine Euphorie, ein Springen, Hopsen und Tanzen beim erstem Berlinauftritt von Supergrass im Loft 1995! „We are young, we run green, keep our teeth white and clean“ sangen sie und dreschten so unverschämt drauf los. Was können uns Supergrass 2003 noch sagen?

Bevor das in Erfahrung gebracht werden kann, muss am Freitagabend die unangekündigte Vorband abgewartet werden. Die demonstriert etwas gewollt ihre unbändige Spielfreude. Die eingängigen Melodien werden durch kurze disharmonische Parts kontrastiert und schrauben sich gefällig der Auflösung im Refrain entgegen. Ein wenig zu süßlich das Gehauche des Sängers, Musik wie Malen nach Zahlen, philosophiert die gelangweilte Zuhörerin, bis es ihr wie Schuppen von den Augen fällt: Das sind ja Miles aus Würzburg! Die ehemaligen Hoffnungsträger der bayerischen Schule, der englisch singenden süddeutschen Bands. Miles, um die vor sieben Jahren recht viel Aufhebens gemacht wurde, die dann von der Plattenfirma V2 unter Vertrag genommen, wieder abgestoßen und danach fast vergessen wurden.

Auch die Supergrass-Euphorie ist hierzulande vorbei. In England hat die Band bisher für jede Platte Platin kassiert. Zu besten Britpop-Zeiten überraschten sie mit ihrem punkrockigen Glamrock-Sound, verflochten Sixties-Flair und Seventies-Zitate, beatleske Melodien und berückende Aahs und Uuhs. Sie zogen wildernd durch die Musikgeschichte, zitierten Elvis, Bowie, Stooges und klangen zugleich nach The Cure, Slade, The Who. Sie wurden die „Teletubbies des Britpop“ genannt, obwohl ihr Äußeres doch viel mehr an das Personal von „Planet der Affen“ erinnerte. Die Spaßvögel mit den albernen Videos machten alles richtig. Sie waren die besseren Oasis, Blur und Pulp. Ihre zweite Platte „In it for the money“ war gereifter, clever komponiert, zugleich immer noch jugendlich unverbraucht. Heute leben die alten Schulfreunde aus Oxford in Brighton und London, die neuen Songs hat man in Cannes am Swimmingpool geschrieben. „Life on other Planets“ heißt das Album, es gibt weniger Ohrwürmer, aber die Single brutzelt genau so schön los wie die anderen Hits der Band. In Interviews machen sie immer noch gern blöde Scherze übers Wichsen und Biertrinken, kifferfantasieren über das Leben der Außerirdischen, was ihnen bei einigen männlichen Musikjournalisten immer noch Bewunderung einbringt.

Nach der ewigen Umbaupause kommen sie zu viert mit Keyboarder auf die Bühne, sehen genauso unmöglich aus wie immer und legen gleich los. Supergrass sind natürlich eine sehr überzeugende Liveband. Da passt und sitzt alles, es fängt rasant an, bleibt auch in den Übergängen im Drive und hört auf den Punkt auf. Trotz aller Beseelt-und Besessenheit, trotz aller Dynamik fehlt aber das Durchgeknallte. Das Publikum hat zum großen Teil das Alter der gereiften Männlichkeit erreicht, mit einem Plastikbecher Bier in der Umklammerung hört es wohlwollend zu, die wilde Jugend steht im vorderen Drittel des Saals. Sie springt und pogt wie gehabt, freut sich an der Bewegung zur Musik. Der Funke indes springt nicht mehr über.

Supergrass haben sich nicht groß verändert, es ist noch alles da: Teen-Appeal, Handwerk, kluges Zitat, Unverschämtheit, Lebensfreude. Trotzdem hat man das Interesse verloren. Die nötige Portion Coolness und Aufruhr holt man sich inzwischen lieber bei den Strokes, den Libertines oder den Zwanzigjährigen der nächsten Generation. Bei aller Cleverness konnten Supergrass doch nicht zu einer Band werden, deren Songs überdauern – zu einer Band, an die man sich auch nach der ersten Aufregung emotional längerfristig binden kann.

CHRISTIANE RÖSINGER