Die Saison will nicht zu Ende gehen

Wie ein Klub sich übernommen hat: Die Oranienburger Eintracht stieg mit großen Hoffnungen in die Fußball-Oberliga auf – und wurde bitterlich enttäuscht. Mit großem Abstand ist der Verein Tabellenletzter. Eine Passionsgeschichte aus der Mark

von THOMAS WINKLER

Es steht zu vermuten, dass ausführlich gefeiert wurde, als er eingefahren war, der endlich allererste Sieg der Saison für die Oranienburger Eintracht. 2:1 hatte der Tabellenletzte der Oberliga Nordost/Nord gewonnen beim Tabellenvorletzten Köpenicker SC und gut elf Stunden nach dem Schlusspfiff, des Nachts um drei Uhr, postete der erste Spieler seine Begeisterung auf der Homepage der Eintracht: „Meine Fresse, damit hat wohl niemand mehr gerechnet“, schrieb Abwehrrecke Lars Köhler, „wir und ein Oberligasieg.“

Tatsächlich, dass Oranienburg in dieser Spielzeit noch einmal gewinnen könnte, daran hatte in der Kreisstadt im Norden Berlins niemand mehr recht glauben wollen, nicht einmal die eigentlich qua Amt dazu Verpflichteten. Mitten in einer Saison, in der der Eintracht alle Unbill widerfuhr, die einem Fußballklub nur widerfahren kann, hatte selbst der Trainer alle Hoffnung fahren lassen. „Wir sind in jedem Spiel von vornherein chancenlos“, hatte Frank Rohde, früher DDR-Auswahlspieler und Bundesligaprofi beim Hamburger SV, noch vor dem historischen ersten Oberliga-Sieg nicht zum ersten Mal verlauten lassen.

Nach dem Erfolg beim Tabellennachbarn in Köpenick hätte sich, berichtet Rohde, seine junge Mannschaft gefreut, als habe „sie die Weltmeisterschaft gewonnen“. Kein Wunder: Schließlich hatte man bis dahin in 23 Spielen gerade mal zwei Punkte gesammelt und 12 Tore geschossen, aber 66 kassiert. Wenn man sich auf dem heimischen Sportplatz mal wieder nach wenigen Minuten einen Rückstand einfing, schüttelten die spärlich versammelten Anhänger nur mehr die Köpfe – eher fatalistisch als erzürnt – auch gestern wieder bei der 2:3-Niederlage gegen den EFC Stahl: Der Abstand zu den Nichtabstiegsplätzen beträgt inzwischen 21 Punkte, und die Rückkehr in die Verbandsliga ist lange schon ausgemachte Sache.

Der Ausflug in die Oberliga, die vierthöchste Spielklasse des DFB, wuchs sich schnell zur hausgemachten Katastrophe aus, die gar die Existenz des Vereins in Frage stellte. Dabei sind Aufstieg und Fall von Eintracht Oranienburg durchaus symptomatisch für die oberen Amateurklassen, wo nicht selten allzu abenteuerlich gewirtschaftet wird.

Das Drama begann bereits mit dem Aufstieg. Denn der fand kaum bemerkt von der Öffentlichkeit statt. „Die Anteilnahme“, erinnert sich Rohde, damals nur sportlicher Leiter, „war sehr, sehr gering.“ Neue Sponsoren konnten nicht gewonnen werden, die durchaus vorhandene Industrie zeigte sich desinteressiert. So ging man in die neue Saison ohne eine wesentliche Steigerung des Etats und mit einer nahezu unveränderten Mannschaft. Die ersten Spiele gingen unglücklich verloren, und schließlich wurde bekannt, dass die Spieler schon seit Monaten Aufwandsentschädigungen und Fahrgeld nicht mehr erhalten hatten. Noch heute sollen Gelder aus dem letzten Vierteljahr der Aufstiegssaison ausstehen. Verschiedene Sponsoren stellten wegen eigener Schwierigkeiten die Zahlungen ein. Sportdirektor Rohde, der im vergangenen Herbst die Bälle aus eigener Tasche bezahlte, fühlt sich selbst noch heute „über den Nuckel gezogen“, aber fand zusammen mit dem Vorstand im damaligen Coach Gerd Pröger ein Bauernopfer. Dessen Entlassung, so Eintracht-Präsident Andreas Badczong, sei zu spät gekommen: „Aber ich kann doch keinen Trainer entlassen, der aufgestiegen ist.“ Sportdirektor Rohde selbst übernahm das Amt. Geld für einen neuen Trainer wäre eh keins da gewesen.

„Abgestiegen sind wir sowieso“, sagt Rohde, „aber wichtig ist, dass der Verein gesund wird.“ Zu allem Überfluss meldete sich kurz vor Weihnachten auch noch das Finanzamt mit einer Nachzahlungsforderung von exakt 18.249,06 Euro. Ein Spendenaufruf an die 30.000 Einwohner aber fand kaum Resonanz. Stattdessen meldete sich der Verein aus dem benachbarten, unlängst eingemeindeten Dörfchen Lehnitz. Der dortige SSV kickt zwar nur in der zweiten Kreisliga, hat aber mit der Schnäppchen-Kette „Komma 10“ einen potenten Geldgeber. Man bot sich an auszuhelfen, wollte aber, so wird gemunkelt, die wirtschaftliche Leitung beim Nachbarn übernehmen. Ein offensichtlich angebrachtes Ansinnen – so wie in Oranienburg gewirtschaftet wurde. Trotzdem verliefen die Verhandlungen im Sande, Hohn und Häme aber waren angekommen bei der Eintracht.

Während in der Lokalpresse die drohende Insolvenz diskutiert wurde, stellte der Vorstand den Spielern frei, den Verein zur Winterpause zu verlassen. Mehr als die halbe Mannschaft machte davon Gebrauch. Rohde musste sein Team mit A-Jugendlichen auffüllen, mit denen er nun vornehmlich Frustbewältigung betreibt. „Ich geh ehrlich um mit den Jungs“, sagt Rohde, denn auch im kommenden Jahr in der Verbandsliga „spielen wir ganz eindeutig gegen den Abstieg“.

Fehler habe man nicht gemacht, so Badczong, schließlich „sind wir weiß Gott nicht die Einzigen, die Probleme haben“. Auf gesunden Füßen stünden nur fünf oder sechs Klubs in der Oberliga Nordost. Immerhin die Pleite der Eintracht sei mittlerweile abgewendet, die Schulden „überschaubar“. „Fußball auf diesem Niveau“, so der Vereinsvorsitzende, „ist immer ein Wagnis.“ Da ist einer weise geworden in einer langen Saison, die immer noch nicht zu Ende gehen will.