„Ich erwarte, dass Ulla Schmidt die Entscheidung zurückweist“

Der SPD-Gesundheitsexperte Klaus Kirschner fordert eine Reform des Bundesausschusses und beklagt dessen Neigung, sich „allzu oft auf den kleinsten Nenner“ zu einigen

taz: Herr Kirschner, wozu treiben Sie Gesundheitspolitik, wenn Ärzte und Kassen in der Selbstverwaltung sowieso machen, was sie wollen?

Klaus Kirschner: In dieser Pauschalität kann ich das nicht stehen lassen. Wir machen die Gesetze nicht zum Spaß. Es ist Aufgabe der Gesundheitsministerin, dort, wo es notwendig ist, die Selbstverwaltung dazu zu bringen, dass sie die Gesetze auch umsetzt.

Der Bundesausschuss hat die Vorgabe, Mindestmengen an planbaren Behandlungen in Krankenhäusern festzulegen, nur mit einer Minimallösung befolgt: Mindestmengen gibt es nun für fünf seltene Operationen. Hat die Ministerin also versagt?

Nein. Daran hat Ulla Schmidt nicht mitgewirkt. Ich erwarte allerdings, dass die Ministerin die Entscheidung zurückweist und deutlich macht, dass im Interesse der Qualitätssteigerung die Messlatte höher zu legen ist. Und: dass für wirklich häufige Krankheiten, wie Herzinfarkt und Aids, oder für Operationen von Brustkrebs, Hüft- und Kniegelenken unverzüglich die Mindestmengen festgelegt werden. Wir dürfen nicht dulden, dass die Interessen der Patienten kurzsichtigen ökonomischen Interessen geopfert werden und schwierigste Operationen in Krankenhäusern durchgeführt werden, die dafür über zu wenig Erfahrung verfügen.

Müssten sich die Krankenkassen von Qualitätssicherung nicht sinkende Kosten versprechen?

Die Kassen sind dem Konflikt aus dem Weg gegangen. Wie bei den Mindestmengen einigen sie sich mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft allzu oft auf den kleinsten Nenner. Von den Patientenvertretern, die seit diesem Jahr mit beratender Stimme im Bundesausschuss sitzen, verspreche ich mir allerdings einiges. Sie haben schon an der relativ patientenfreundlichen Regelung mitgewirkt, wie „chronische Krankheit“ zu definieren ist.

Kann man den Bundesausschuss und mit ihm das System der Selbstverwaltung nicht einfach abschaffen?

Und wer soll dann die Arbeit tun? Das Ministerium vielleicht? Oder der Gesundheitsausschuss des Bundestages? Nein, das können wir nicht, damit wäre die Politik überfordert. Alle gemeinsam würden aufschreien: Staatsmedizin!, DDR-Verhältnisse! Das durften wir schon erleben, als ein unabhängiges Institut für Qualität in der Medizin gegründet werden sollte – das es nun bloß als Anhängsel des Bundesausschusses geben wird. Wichtig ist, Transparenz herzustellen. Mein Vorschlag ist, die Mitglieder des Bundesausschusses von einem Gremium wie dem Richterwahlausschuss wählen zu lassen. An diesem wären Bundestagsvertreter und Länderminister beteiligt. Sie gäben die demokratische Legitimation an den Bundesausschuss weiter, der ja immerhin untergesetzliche Rechtsnormen festlegt.

Sie haben Anfang des Jahres Skepsis gegenüber dem neuen Bundesausschuss-Chef Rainer Hess angemeldet: Als Ex-Ärztefunktionär werde er für ärztefreundliche Entscheidungen sorgen. Sehen Sie sich von der Mindestmengen-Entscheidung bestätigt?

Nicht unbedingt. Die Regelung des Bundesausschusses, welche Patienten als chronisch krank gelten und deshalb geringere Zuzahlungen zu leisten haben, ist unter Hess sehr patientenfreundlich ausgefallen. INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN