„Strafen wären eine Fehlentscheidung“

Sybille von Obernitz von der IHK Berlin warnt davor, dass der Staat dirigistisch in den Lehrstellenmarkt eingreift. Stattdessen seien Eltern, Schule und Betriebe gefragt, Jugendliche besser auf den Einstieg in den Beruf vorzubereiten

taz: Die IHK nimmt heute am Ausbildungsgipfel teil. Was wollen Sie dort noch diskutieren?

Sybille von Obernitz: Es wird sicher um die Einschätzung der Situation gehen, darum, wie viel Ausbildungsstellen die Wirtschaft zur Verfügung stellen kann und wie viel geförderte Ausbildungsplätze gebraucht werden. In Zeiten einer so großen Diskrepanz zwischen demographischer Entwicklung einerseits und der angespannten wirtschaftlichen Lage andererseits muss das duale System unterstützt werden. Darüber hinaus müssen wir weitere Möglichkeiten schaffen, dass möglichst alle Schulabgänger, die können und wollen, eine Lehrstelle finden.

Würden Sie Strafen begrüßen für die Betriebe, die nicht oder nicht genug ausbilden?

Das wäre eine vollkommene Fehlentscheidung, denn es würde damit in den freien Markt eingegriffen. Die Folge wäre zu viel Ausbildung in dem einen Beruf und zu wenig in dem anderen.

Die Zahl an Ausbildungsstellen wird in diesem Jahr sinken.

Das ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht exakt einzuschätzen. Allerdings ist die wirtschaftliche Situation äußerst schwierig. Als Betrieb tut man sich da natürlich schwer, den Bedarf für den eigenen Nachwuchs langfristig einzuschätzen. Aber die Wirtschaft in Berlin ist sich ihrer Verantwortung für die Jugend bewusst. Das merken wir täglich bei unseren Betriebskontakten. Außerdem ist die Zahl an Ausbildungsplätzen bis vor zwei Jahren bei uns kontinuierlich gestiegen. Im vergangenen Jahr sind bei der IHK die betrieblichen Ausbildungsplätze nur um 1,7 Prozent zurückgegangen, bundesweit dagegen um rund 8 Prozent.

Wie groß ist für einen Jugendlichen in Berlin die Chance, eine Ausbildungsstelle zu finden?

Sie ist nach wie vor nicht schlecht – wenn der Jugendliche ausbildungsfähig ist. Wir haben eine Umfrage unter 536 Betrieben gemacht. Für manche Ausbildungsplätze gibt es nicht genug Bewerber, die den heutigen Berufsbildern entsprechend qualifiziert sind.

Sie weisen Schule und Elternhaus in die Pflicht?

Auf dem Ausbildungsmarkt ist nicht mehr nur fachliches Wissen gefragt, es geht auch um soziale und persönliche Kompetenzen. Da müssen die Eltern aktiver werden, zum Beispiel indem sie mehr eigene Erfahrungen aus ihrem Berufsleben vermitteln. Wir erwarten auch von den Schulen ein verstärktes Bewusstsein zum Thema Qualität und Evaluation. Das bedeutet, nicht nur den vorgegebenen Lehrplan umzusetzen, sondern auch auf das zu blicken, was ein Schüler am Ende der neunten Klasse beherrschen muss, also eine stärkere Output-Orientierung. In den Betrieben ist das nämlich genauso.

Wo müssen die Unternehmen aktiver werden?

Wir fordern die Betriebe auf, stärker mit Schulen zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel, indem sie Bewerbungstrainings machen, wirtschaftsnahen Unterricht mitgestalten oder Lehrern Betriebspraktika ermöglichen. In Berlin sind wir da auf einem guten Weg. Wir haben seit zweieinhalb Jahren ein entsprechendes Projekt, wo sich Unternehmen und bestimmte Schulen gegenseitig unterstützen. Ziel ist, dass Schüler möglichst früh die unterschiedliche Welt eines Unternehmens kennen lernen.

Sind die Anforderungen an Schulabgänger gestiegen?

Ich denke, sie sind, was soziale und persönliche Kompetenzen anbelangt, nicht gestiegen, sondern das Bewusstsein für ihren Stellenwert ist gesunken. Außerdem ist ein Teil der Ausbildungsberufe komplexer geworden.

Gibt es Alternativen für die Jugendlichen, die nicht ausbildungsfähig sind?

Wir müssen so schnell wie möglich Berufsbilder für eher praktisch begabte Jugendliche anbieten, die die eher theorielastigen Berufe nicht ausführen können. Bisher sperren sich jedoch in diesem Punkt die Gewerkschaften, und ohne die geht es nicht. Wir brauchen beispielsweise Berufe, die nur Teile von ganzen Berufsbildern abdecken. Vorstellbar wären da einfachere Tätigkeiten im Gastronomie- und Hotelbereich. INTERVIEW: JULIANE GRINGER