Der Anti-Neubarth

Schalke kann auch mit einem Kampfschwein als Trainer bei Abstiegskandidat Nürnberg nicht gewinnen

NÜRNBERG taz ■ Rudi Assauer, der Manager des FC Schalke 04, war nach dem 0:0 seines Klubs beim 1. FC Nürnberg vor allem der Mann, der sich Mitte letzter Woche seinen Dez bei einem Treppensturz aufgeschlagen hatte, und das gleich so vehement, dass ein Fernsehreporter auch am Samstag noch mitleidig bemerkte: „Ui, das sieht aber schlimm aus.“ Die Kamera war noch ausgeschaltet, und Assauer, der immer noch aussieht wie ein Boxer nach dem Kampf, nahm einen kräftigen Zug an seiner Zigarre, lächelte – und sagte wie Männer es sagen, die zweifellos Männer sind: „Jede Narbe macht mich nur noch interessanter.“ Als das Fernsehteam trotz des grauslichen Kicks die Kamera dann angeschaltet hatte, da hatte den Treppenboxer die eigene Selbstsicherheit endgültig übermannt: „Wir schaffen den fünften Platz“, erklärte Assauer, der mit unzähligen Stichen am Kopf genähte Fußballmacho.

Gewiss, Schalke war besser an diesem Samstagnachmittag im Frankenstadion. Und hätte der schusselige Victor Agali nicht mindestens vier so genannte „Hundertprozentige“ versiebt, in Nürnberg wäre die Situation nun noch brenzliger, als sie es ohnehin schon ist. Es war ein Spiel, bei dem Max Morlock und Ernst Kuzorra, die Heiligen der beiden in Fanfreundschaft verbundenen Altmeister, sich mit Grauen abgewendet hätten. Aber zumindest in Schalke scheint seit dem Trainerwechsel von Neubarth zu Wilmots alles ganz anders zu sein, obwohl alles beim Alten blieb und die ersatzgeschwächte Mannschaft sich auch im sechsten Spiel in Folge zu keinem Sieg rumpeln konnte. Hätte der Nürnberger Müller in der 90. Minute die Kugel aus drei Metern statt in den Himmel ins Schalker Tor gekloppt, die Reden vom „positiven Aufbruch“ hätte dem mitgenommenen Assauer wohl niemand abgenommen.

Dass Narben Menschen interessanter machen, muss nicht zutreffen. Die Trainerkarriere des 38-jährigen Frank Neubarth jedenfalls scheint nach der wundenreichen Entlassung durch Assauer vor neun Tagen genauso blitzartig beendet zu sein wie sie vor acht Monaten begann. Nicht mangelndes Fachwissen sei der Grund für Neubarths Demission gewesen, betete am Samstag der Chef der Schalker Lizenzspieler-Abteilung, Andreas Müller, den Reportern erneut vor. „Aber es musste ein Schuss neues Leben in die Bude.“ Neubarth wirkte trotz seiner stattlichen Größe von 1,89 m seltsam unsichtbar im Schalker Theater.

Mit Marc Wilmots habe man jetzt einen „vom alten Schlag“, glaubt Müller. Also quasi einen Anti-Neubarth. Schalke ist ein Mythos –und Wilmots ein als „Kampfschwein“ verehrtes Schalker Idol. Das muss doch passen. Nun hoffen sie, dass die Leidenschaft des „Eurofighters“, der 1997 mit Schalke den Uefa-Pokal gewann, sich auch auf die Mannschaft überträgt.

Der Trainernovize ohne Lizenz, pikanterweise als Spieler von Neubarth für nicht mehr gut genug befunden und für sein Aufmucken dagegen auch von seinem jetzigen Protegé Assauer abgerüffelt, will als Trainer vor allem eins: „Die Jungs müssen alles geben für Schalke.“ So einfach ist das. „Man muss Spaß haben an seinem Beruf, sonst kann man keinen Erfolg haben“, so der vierfache WM-Teilnehmer für Belgien. Deshalb wurde in der vergangenen Trainingswoche geflachst, gelobt und getätschelt, was das Zeug hielt. Auch im Frankenstadion will Wilmots eine positive Einstellung gesehen haben, „mit der du mit diesen tollen Jungs weiter arbeiten kannst.“ Irgendwie scheint Wilmots, ganz so wie die Trainer vom alten Schlag, die Erfahrungen, die er als Spieler sammelte, nicht wirklich in Sprache übersetzen zu können.

Als „kurz und knackig“, beschrieb Neubarths Intimfeind Frank Rost Wilmots erste Sitzung vor einem Pflichtspiel. „Was soll man jetzt noch viel reden?“, fragt der. Jetzt bedeutet sieben Spieltage vor Rundenende – und Schalke, der Tabellensechste, muss die zwei Punkte Rückstand auf Platz fünf unbedingt aufholen, schon wegen der finanziell so wichtige Uefa-Cup-Qualifikation. Mit „auswärts ein Punkt und zu Hause gewinnen“, beschreibt Wilmots sein wenig kompliziertes Konzept für die Erfüllung des Saisonminimalziels. Dann endet sein Vertrag auch schon wieder, im Anschluss will er sich für die Partei „Mouvement Reformateur“ in den belgischen Senat wählen lassen. Aber da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, meint Andreas Müller: „Wenn das Ding klappt, dann geht der Manager zu Fuß nach Belgien, um den Minister zu überzeugen, dass Schalke Wilmots nötiger braucht als Belgien.“ TOBIAS SCHÄCHTER

1. FC Nürnberg: Kampa - Paßlack, Kos, Nikl, Wolf - Junior, Larsen, Jarolim, Müller - Ciric (81. Krzynowek), Michalke (66. Cacau)Schalke 04: Rost - Hajto, Waldoch, van Hoogdalem, Rodriguez - Pinto, Kmetsch, Vermant, Böhme - Sand (57. Varela), AgaliZuschauer: 41.100