Großes kleines Fernsehspiel

Seit 40 Jahren ist das ZDF Deutschlands erste Adresse für jungen Film. Zum Geburtstag gibt es vier Programmblöcke mit den Highlights – von Rainer Werner Fassbinder und Jim Jarmusch bis Tom Tykwer und Oskar Roehler. Natürlich nachts (0.05 Uhr)

von CHRISTIAN BUSS

Ein Mann sprengt sein Auto in die Luft, danach starrt er angeekelt in den Spiegel und schreit sich den Frust von der Seele. – Selbst das Vorabendprogramm des ZDF, wo eigentlich Familiensinn und Freundlichkeit gepflegt werden, war eine Zeit lang nicht sicher vor den antibürgerlichen Umtrieben der 68er.

Ein Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin inszenierte mit „Ich nicht“ und „Der Eine – der Andere“ zwei Kurzfilme, in denen virtuos sämtliche Schock-Rituale eingesetzt wurden, mit denen junge Menschen damals konformistische Neigungen in sich selbst auszutreiben pflegten. Der Hauptdarsteller in den beiden Zehnminütern hieß Hans-Peter Korff, der später fürs Zweite als Familienvater in „Diese Drombuschs“ milderen Formen der Selbsterforschung nachging. Und der Regisseur war Wolfgang Petersen, der heute in Hollywood wenig revolutionäres Luxus- und Logistik-Kino betreibt. So kann nicht verwundern, dass Petersens frühe Etüden (heute, 1.45 Uhr) gleich im ersten Teil eines voluminösen Sendeprojekts auftauchen, mit das „Kleine Fernsehspiel“ zum immerhin schon 40. Geburtstag auf seine immerhin ebenso historischen Leistungen aufmerksam macht.

Nachtprogramm

Schließlich muss sich die kleine Abteilung immer mal ins Bewusstsein der ZDF-Mächtigen rufen. Denn nachdem sie vor bald 30 Jahren vom frühen Abend in die späte Nacht gewandert ist, genießt die Redaktion zwar volle gestalterische Freiheit (sowie nach hinten offene Sendezeiten) – kaum die Aufmerksamkeit des breiteren Publikums.

Mögen die vier Nachtblöcke, mit denen man sich nun feiert, erst mal nur für Menschen gemacht sein, die das Programmierritual ihres Videorekorders beherrschen: Die Ballung großer Regie-Namen wie Petersen, Fassbinder, Tykwer gleich im ersten Filmpaket werden mögliche Zweifel der weniger filmkunstbeflissenen ZDF-Gewaltigen schnell zerstreuen. Zumal das Jahresbudget von rund 5 Millionen Euro, das die Redaktion nun schon seit einiger Zeit zugewiesen bekommt, im Vergleich zum Gesamtetat des Hauses ein Klacks ist.

Beim „Kleinen Fernsehspiel“ geht es also darum, aus weniger mehr zu machen. Das hat wohl kaum einer der Regisseure, die hier debütiert haben, so gut hinbekommen wie Tom Tykwer. Sein spektakuläres Psychogramm „Die tödliche Maria“, mit dem das Jubiläumsprogramm heute (0.00 Uhr) eröffnet wird, ist nicht unbedingt der wichtigste aller Filme, aber der technisch aufwendigste allemal. Die gewagten Kamerawinkel und die durcharrangierten Bilder, mit der Tykwer 1994 von kleinen Sehnsüchten und monströsen Anomalien erzählte, hat man bis dahin kaum in deutschen Filmen gesehen.

Allerdings verstellt die zentrale Positionierung des edlen Schockers den Blick auf die eigentliche Strategie der Redaktion. Denn hier steht die Relevanz der Geschichte eigentlich vor der inszenierten Brillanz. Gerade das schafft Produktionen von enormer Dringlichkeit. Aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen finden schnell Eingang: Lange bevor sich das Rest-ZDF per Dekret um Migration oder Ost-Öffnung kümmerte, wurden diese Themen ganz selbstverständlich in den Arbeiten des „Kleinen Fernsehspiels“ aufgegriffen. Sonderbarerweise hat es von den meisterhaften Milieustudien deutsch-türkischer Filmemacher – Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ etwa oder Ayse Polats „Auslandstournee“ – keine ins Geburtstagsprogramm geschafft, dafür läuft mit dem 1989 gedrehten Auswandererdrama „Überall ist es besser, wo wir nicht sind“ (5. Mai, 1.40 Uhr) ein Film, der kurz vor dem endgültigen Zerfall des Ostblocks vom polnisch-deutschen Menschentransfer berichtet. In kargen Schwarzbildern schlüsselt Regisseur Michael Klier die sozial-ökonomische Situation so genannter Wirtschaftsflüchtlinge aus Warschau auf.

Dokumentationen

Durch die freie Hand, die man den jungen Künstlern lässt, entwickeln die fiktionalen Spielfilme des „Kleinen Fernsehspiels“ oft eine dokumentarische Schärfe – und die Dokumentarfilme indes versprühen schon mal leises Sentiment. So wie die Arbeiten von Judith Keil und Antje Kruska, zweier Autodidaktinnen, die einen ganz eigenen Doku-Stil etabliert haben. Ihre Raumpflegerinnen-Ballade „Der Glanz von Berlin“ mauserte sich vor zwei Jahren zum Programmkinohit; kurz zuvor hatte das Duo mit „Ausfahrt Ost“ (14. April, 3.35 Uhr) ein nicht minder warmherziges und witziges Soziogramm über das Leben dreier Langzeitarbeitsloser in einem Autobahn-Kaff nahe Magdeburg vorgelegt.

Dass man solche Quereinsteigerinnen wie Keil und Kruska förderte, zeugt von der Risikobereitschaft der Redakteure. Eine Eigenschaft, die sich auch in der konsequenten Förderung eines Quälgeists wie Oskar Roehler niederschlägt. Wer hätte gedacht, dass der zur Selbstzerfleischung und zur Hysterie neigende Berliner WG-Filmer mal ein über alle Zweifel erhabenes Meisterwerk wie „Die Unberührbare“ (5. Mai, 0.00 Uhr) zustande bringt. In seiner Elegie, die er in strengen Schwarzweißbildern komponiert hat, gelingt es Roehler, den Tod eines ganzen Staates in der Agonie einer kommunistischen Schriftstellerdiva widerzuspiegeln. Über das Ende der DDR wurde bislang kein stimmigerer Film gedreht.

Dafür gab es zu Recht den Bundesfilmpreis – eine Trophäe, die vom „Kleinen Fernsehspiel“ geförderte Produktionen übrigens ebenso häufig einheimsen wie den Adolf-Grimme-Preis, die andere ernst zu nehmende Branchenehrung. Überhaupt deutsches Kino: Vieles von dem, was hier nicht gerade in der „Der Schuh des Manitou“-Kategorie daherkommt, hat als Koproduzenten – das „Kleine Fernsehspiel“ des ZDF.

Alle Termine unter: www.daskleinefernsehspiel.zdf.de