nebensachen aus litauen
: Spaziergang zur weißrussischen Grenze

Ein Interview mit Hindernissen

Druskininkai ist ein Ort in Südlitauen. Er liegt malerisch an mehreren kleinen Seen, die im Winter zufrieren und dann in der Sonne glitzern wie Edelsteine. Der Wind, der hier weht, ist mild und trotzdem frisch und belebend. So ist es kein Wunder, dass Chaim, mit dem ich eine Woche durch Litauen toure, unternehmungslustig vorschlägt: „Lass uns einen Spaziergang zur Grenze machen!“

Gesagt, getan. Gut gelaunt gehen wir durch den Wald, an kleinen Seen, Teichen und Bächen vorbei. Schließlich bleibt Chaim an einer Weggabelung stehen, faltet die Karte zusammen und steckt sie ein: „Jetzt müssen wir uns alleine durchschlagen. Die Karte hört hier auf.“

Es wird dunkel und merklich kälter. Der Weg schlängelt sich nach wie vor durch den Wald, nur Menschen scheint es hier außer uns keine mehr zu geben. Endlich kommen wir zu einem Schild „Grenzgebiet. Betreten verboten!“ Chaim freut sich: „Na, jetzt sind wir gleich da.“ Am Himmel leuchten längst die Sterne. Wir kommen zu einer seltsam rotenWaldstraße. Doch die erweist sich als Morast, in dem wir fast bis zu den Knien versinken. Irgendwie ziehen wir uns gegenseitig wieder raus, schleppen nun aber zwei Kilo Matsch an den Beinen mit uns herum. Ich bekomme Angst, dass wir aus diesem Wald nicht mehr herausfinden könnten. „Den Partisanen ging es im Krieg auch nicht anders“, meint Chaim hingegen und beginnt mir zu erklären, was man im Wald alles essen kann. Mir wird immer mulmiger zumute.

Endlich, nach zwei Stunden, entdecken wir die Straße zur Grenze. In der Ferne leuchtet ein gleißendes Licht. Das ist sie, die litauisch-weißrussische Grenze. Nur – was wollen wir da eigentlich? Mitten in der Nacht? Chaim hakt mich unter, und so tauchen wir dann kurz vor Mitternacht aus dem Dunkel der einsamen Landstraße am Grenzübergang auf. Dreckig, müde und zerzaust. Chaim geht auf einen der Grenzoffiziere zu und meint: „Ich bringe Ihnen hier eine Journalistin aus Deutschland, die gerne mit Ihrem Chef ein Interview führen möchte.“

Mir stockt der Atem, ich denke nur: „Hoffentlich bringen die uns jetzt nicht in die Klapsmühle.“ Aber der Kommandant wundert sich überhaupt nicht. „Selbstverständlich“, meint er zuvorkommend. „Aber Sie sehen ein bisschen verfroren aus. Ich lasse Ihnen erst mal einen heißen Tee bringen.“ Dann organisiert er uns noch ein Auto: „Das ist ein kleiner Grenzübergang. Nachts kommen hier nur ganz selten Lkws vorbei. Und Sie wollen doch sicher nicht zu Fuß die zwölf Kilometer zurückgehen?“ GABRIELE LESSER