„Bush wird siegen und scheitern“

„Sein Tod hat keine große Bedeutung. Vielleicht verschwindet er auch“

Interview DOROTHEA HAHN

taz: Monsieur Lanxade, Sie waren Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte und sind jetzt Zuschauer des Krieges im Irak. Wie beurteilen Sie das Vorgehen Ihrer US-Kollegen?

Jacques Lanxade: Nachdem die Entscheidung, den Krieg zu führen, einmal gefallen ist, müssen sie so schnell wie möglich bis zum Ende gehen. Das tun sie. Mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, machen sie das intelligent. Wir Franzosen hätten eine größere Risikobereitschaft. Aber das ist eine andere militärische Kultur. Da sind wir den Engländern näher als den Amerikanern.

Wollen Sie sagen, dass Sie weniger zerstören würden?

Weniger zerstören und ein größeres Risiko für unsere Truppen eingehen.

War der direkte Vormarsch nach Bagdad richtig?

Es war das Einzige, was sie tun konnten, um klar zu machen, dass das Regime eliminiert ist. Sie haben sich nicht von Saddam Hussein in die Städte locken lassen. Aber es hat eine politische Bedeutung. Es zeigt, dass der Widerstand sehr viel stärker war als erwartet.

Werden die USA den Krieg gewinnen?

Sie werden den Krieg sogar ziemlich schnell gewinnen. Aber es wird ein politisches Scheitern werden.

Inwiefern?

Die Amerikaner wollten das Regime stürzen und als Befreier empfangen werden. Aber es gab viel Widerstand und zu viele zivile Opfer. Und das Image der USA in der Welt ist schlecht.

Wann wird der Krieg enden?

Wenn die Amerikaner das moderne Zentrum von Bagdad eingenommen haben, werden sie sagen: Es ist zu Ende. Aber in Wirklichkeit wird der Krieg weitergehen: im Rest der Hauptstadt und in den anderen Städten des Landes. Man kann nicht ausschließen, dass sich der Irak am Ende des Krieges in einer völlig unklaren Situation befindet.

Wird Saddam Hussein getötet?

Das hat keine große Bedeutung. Vielleicht verschwindet er auch. Aber das Regime wird nicht mehr existieren.

Ist das für Sie keine Befreiung des Irak?

Ich glaube nicht, dass es eine ist. Bestenfalls kann man hoffen, dass die irakische Bevölkerung es als die Eliminierung eines Regimes empfindet, das sie nicht geliebt hat.

Was sagen Sie zu dem irakischen Widerstand?

Heute weiß niemand, welcher Anteil davon auf Nationalismus, Patriotismus und Antiamerikanismus beruht. Und wie groß der Anteil von Zwang durch das Regime ist. Es wird zwei oder drei Monate dauern, bis man sehen kann, ob die Bevölkerung den Wechsel akzeptiert. Oder ob sie eine amerikanische Militärbesatzung ablehnt.

Wird der Irak auseinander brechen?

Das werden die USA verhindern. Das Risiko ist am größten bei den Kurden. Die Peschmerga sind bereits in die Städte des Nordens unterwegs. Sollte der Eindruck entstehen, dass die Kurden ihre Zone ausdehnen, wird ein großer Teil der irakischen Bevölkerung – die Sunniten in Bagdad – heftig reagieren. Man kann auch nicht ausschließen, dass die Türken intervenieren. In dem Moment hätten wir eine Internationalisierung, die von einem Alliierten der Amerikaner ausgeht.

Monsieur Lanxade, Sie betrachten Saddam Hussein nicht mehr als Gefahr?

Er stellt heute keine Gefahr dar. Nicht einmal für die Amerikaner. Das haben viele autorisierte Stimmen in den USA gesagt. Dass die Amerikaner den Irak für eine Intervention gewählt haben, ist weitgehend irrational.

Warum haben die USA nach dem letzten Golfkrieg nicht auf die Option Handel mit dem Regime in Bagdad gesetzt? Wie andere Länder.

Ich habe die Dinge nicht so erlebt. Ich war im Golfkrieg Berater von Präsident Mitterrand. Bush Vater, Mitterrand und Major wollten die Integrität des Irak erhalten, sie wollten verhindern, dass das Land auseinander fällt. Dazu wollten sie Saddam Hussein die nötigen Mittel lassen und dazu haben sie seiner Republikanischen Garde gestattet, Kuwait zu verlassen. Als Konsequenz kam es zu dem exzessiven Einsatz der Republikanischen Garde gegen die Schiiten und die Kurden. Um das zu verhindern, wurden die Luftzonen eingerichtet. Gleichzeitig hat man die Inspektorenmission zur Entwaffung eingesetzt. Die hatte bekanntlich positive Resultate.

Wie ist es für einen Militär, wenn er plötzlich auf derselben Seite mit einer antimilitaristischen Bewegung steht?

Ich stehe überhaupt nicht auf derselben Seite. In Frankreich sind wir der Ansicht, dass Krieg nicht das richtige Mittel war, um das irakische Problem zu behandeln, und wir machen uns Sorgen wegen der Konsequenzen. Wir finden zweitens, dass die Art, wie diese US-Administration sich mit den Angelegenheiten der Welt befasst, nicht angemessen und nicht akzeptabel ist. Der Pazifismus ist keine natürliche Tendenz in Frankreich. Abgesehen von einem Teil der Linken. Das ist ein ganz großer Unterschied zu Deutschland.

Und wie weit sind Sie von Ihren Kollegen der Bundeswehr entfernt?

Die deutsche Armee konnte sich im Kalten Krieg nicht vorstellen, eine Aktion außerhalb der Nato zu machen. Das ändert sich jetzt. Sie ist auf dem Weg zu einer Denkautonomie im Verhältnis zu Amerikanern und zu Nato. Sie schafft vorsichtig die Möglichkeit einer nationalen Verteidigung.

Seit wann?

Kosovo war die erste echte Intervention. Dann kam Mazedonien. Dann Bosnien. Dann Afghanistan.

Welche Rolle spielt der Irak in dieser Serie?

Deutschland stellt sich die Frage der Anwendung seiner Armeen nicht mehr im Rahmen der Nato, sondern in einem nationalen Rahmen. Das erleichtert die Suche nach einem europäischen Konsens in der Verteidigung.

Die europäische Kakofonie in der Irakkrise ist aber nicht gerade eine günstige Voraussetzung für eine gemeinsame Verteidigungspolitik.

Da bin ich nicht so sicher. Wenn man eine gemeinsame europäische Außenpolitik haben will, muss eine Verteidigung dahinter stehen. Sonst macht das keinen Sinn.

Das ist umstritten.

Die Irakkrise hat ans Licht gebracht, dass die Regierungen uneinig sind. Aber zugleich zeigt sie, dass die europäische Öffentlichkeit in allen Ländern – auch in Großbritannien und in Spanien und in Polen – gegen die amerikanische Intervention ist. Irgendwann müssen die Regierungen wieder in Übereinstimmung mit ihrer Öffentlichkeit kommen. Dann wird sich auch die Idee entwickeln, dass Europa die Mittel braucht, um international zu existieren – neben den Amerikanern und nicht gegen sie. Davon bin ich absolut überzeugt.

Kann der EU-Konvent im Sommer ein Projekt für ein künftiges Europa vorlegen?

Es ist ein bisschen surrealistisch, unter dieser Voraussetzung eine gemeinsame Verfassung zu machen.

Was schlagen Sie vor?

Eine Pause im europäischen Aufbau. Europa muss erst klären, was es sein will. Bloß ein großer Markt – oder ein echter internationaler Akteur.

Wollen Sie die Osterweiterung der EU verschieben?

Das ist nahe liegend.

Ist das eine neue französische Rache an den Beitrittskandidaten, die sich auf die Seite der USA gestellt haben?

Man muss Länder wie Polen verstehen. Sie fühlen sich immer noch auf gewisse Art im Osten bedroht. Aber wenn sie der EU beitreten, muss man ihnen sagen, dass Europa nicht nur Wirtschaft ist, sondern auch politisch existieren will. Und dass es dabei Positionen beziehen kann, die anders sind als jene der USA.

Darüber sind sich nicht einmal die alten Mitglieder der EU einig.

Bevor man den Polen, den Tschechen sagt, was der europäische Vertrag ist, müssen wir unter uns herausfinden, was wir sind, und was wir sein wollen.

Wie lange wird das dauern?

Ein gutes Jahr. Oder zwei.

Was halten Sie von dem Vergleich zwischen Nachkriegsirak und Deutschland nach 1945?

Das macht keinen Sinn. Deutschland hatte eine demokratische Vergangenheit. Der Irak hatte nie auch nur den Anfang einer Demokratie. Es gibt kein arabisches Land, das der Anfang einer Demokratie wäre. Wenn Sie in den muslimischen Ländern die europäische Regel anwenden „Ein Mann – eine Stimme“ …

„In Wirklichkeit geht der Krieg weiter: in Bagdad und anderen Städten“

dann …

… bekommen Sie ein islamistisches Regime.

Ist das ist ein Plädoyer gegen die Demokratie in der arabischen Welt?

Man muss natürlich demokratische Formen finden. Aber man muss es auf eine Art tun, die zugleich fortschreitend ist und an die muslimische Kultur angepasst.

Befürchten Sie weitere kriegerische Alleingänge der USA?

Wir sind in Frankreich stark gegen das amerikanische Konzept vom präventiven Krieg. Wenn die UNO entscheidet, dass man diese oder jene Operation führen muss – präventiv –, dann sind wir einverstanden. Aber die Idee, dass ein Land oder eine Gruppe von Ländern außerhalb der UNO präventiv intervenieren, ist ein Bruch der Regeln des internationalen Rechtes. Es verstößt gegen die Charta der Vereinten Nationen.

Was sollte die USA denn bremsen?

Dieses Mal war es schwierig und teuer für sie – diplomatisch, militärisch und zweifellos auch politisch. Deswegen werden die Amerikaner nicht so schnell wieder anfangen.

Das ist eine fromme Hoffnung.

Nein. Es ist eine Überzeugung. Ich sehe nicht, dass die USA sich jetzt gegen Syrien engagieren werden oder gegen den Iran.

Aber vielleicht gegen Nordkorea.

Da würde es möglicherweise von Seiten Frankreichs eine andere Haltung geben.

Die franco-amerikanische Beziehung hat gelitten.

Viele Franzosen finden das Verhalten der amerikanischen Regierung inakzeptabel. Nicht nur im Irak.

Werden die miserablen Beziehungen anhalten?

Was diese US-Administration betrifft, sind die Dinge reparabel. Da herrscht Realpolitik. Auch wenn es schwer werden könnte. Denn wir haben grundsätzlich andere Konzepte von der Weltordnung.

Warten Sie auf eine Abwahl von George W. Bush?

Es könnte schon vorher eine Reihe von Anpassungen geben. Das läge auch im Interesse der Bush-Equipe. Und ob sie wieder gewählt wird – wird man dann ja sehen. Viel schlimmer ist, dass die Amerikaner den Krieg im Irak völlig mit dem 11. September identifizieren – obwohl man nie den geringsten Zusammenhang zwischen Saddam Hussein und al-Qaida gefunden hat. Dass die Franzosen sich gegen diesen Krieg stellen, halten die Amerikaner für Verrat. Daraus ist ein echtes antifranzösisches Gefühl in der amerikanischen Öffentlichkeit entstanden. Es wird Jahre dauern, bis wir das wieder ausgleichen.