Türkische Kinder haften für ihre Eltern

Nach sechzehn Jahren im Ruhrgebiet soll Ayse Saban in die Türkei abgeschoben werden – wegen eines falschen Passes ihrer Eltern. Das Bleibe- und Duldungsrecht der „zweiten Generation“ bleibt weiterhin ungeklärt

RUHR taz ■ Ayse Saban muss für einen Fehler ihrer Eltern bezahlen: Weil sie vor sechzehn Jahren mit gefälschten Pässen aus der Türkei nach Deutschland einreisten, soll die 21-Jährige jetzt nach Anatolien abgeschoben werden. Sie spricht kein Türkisch, arbeitete in Schwelm als Arzthelferin und hat eine viermonatige Tochter. „Ich fühle mich verloren“, sagt sie, „wie eine Bochumerin in Afrika.“

Im vergangenen Jahr hatte die Polizeibehörde Interpol Daten über Türken und Türkinnen herausgegeben, auch die Schwelmer Polizeibehörde wurde benachrichtigt. Dabei stellte sich heraus, dass Familie Saban vor sechzehn Jahren mit falschen Pässen geflohen war. Die Polizei stürmte die Wohnung der Familie, führte Mutter, Vater, Sohn und Tochter in Handschellen ab, nahm Fingerabdrücke. „Wir wurden wie Schwerstverbrecher behandelt,“ sagt Saban. Dabei habe die Familie damals die Pässe von irgendeinem Beamten bekommen, sie wollten nur noch weg aus dem kriegsgeschüttelten Libanon, egal wie. Über eine Schlepperbande sind sie dann geflohen, mit dem Flugzeug, mit dem Lastwagen, zu Fuß. In Schwelm wurde ihr Asyl zunächst anerkannt, sie ging zur Schule, wurde eingebürgert und machte eine Ausbildung als Arzthelferin. Ihren Job in einer Frauenarztpraxis hat Saban nun verloren: Die deutsche Staatsangehörigkeit wurde ihr nach der Polizeiaktion aberkannt und damit endete auch ihre Arbeitserlaubnis. „Von einem Tag auf den anderen hatte ich nichts mehr.“

Ayse Saban ist kein Einzelfall. Gerade in den Ruhrgebietsstädten kämpfen die Flüchtlinge der „zweiten Generation“ um ihr Bleiberecht. „Jede Ausländerbehörde entscheidet anders“, sagt Irene Dulz, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates NRW in Essen. Einige Ämter ließen die Kinder hier leben. „Wir kennen aber auch viele Fälle, in denen Familien auseinander gerissen wurden und in völlig unbekannte Gegenden kamen.“

Sabans Anwalt Karl-Heinz Bartens-Winter aus Wuppertal findet die Situation seiner Mandantin „unerträglich. Sie wird bestraft, weil ihre Eltern vor sechzehn Jahren etwas falsch gemacht haben.“ Trotzdem räumt er ihr nur geringe Chancen ein, ein Antrag an die Härtefallkommission des Landtages scheiterte bereits, ein weiterer liegt noch beim Petitionsausschuss. „Behrens wird das aber verhindern, damit es keine Grundsatzentscheidung zugunsten der Flüchtlinge gibt.“ ANNIKA JOERES