Lieder am Rand

Schwarz, Weiß, Technicolor: Der Singer und Songwriter Randy Newman spielt in der Musikhalle

von Nikola Duric

Vor dem Singer und Songwriter Randy Newman breitet sich eine unendlich tiefe Landschaft in Technicolor aus. Der in den Südsaaten aufgewachsene Newman ist ein Neffe des Filmkomponisten-Trios Alfred, Emil und Lionel Newman. Doch eher selten schreibt der Warner-Brother und Blues-Bruder Randy Musik für Filme (zuletzt Monster AG). Lieber dreht er den Blick auf die Biographien der Menschen hinter der Kamera: den trinkenden, impotenten Tontechniker, der gerne Cowboy wäre, oder den größenwahnsinnigen Licht-Menschen mit seinen Allmachtsphantasien.

Zwar geschieht es häufig, dass in der Mitte eines Randy-Newman-Liedes das Piano seinen Lauf unterbricht und ein einschmeichelndes Streichorchester den Melodiebogen übernimmt, aber die gesungenen Geschichten sind keine Abenteuerfilme, sondern Momentaufnahmen der Frustrationen und trostlosen Realitäten des amerikanischen Mittelstandes. Dabei bedient sich Newman eines Kunstgriffs, der in der heutigen Popmusik verschwunden scheint: des Positionswechsels. Er singt den Song eines Mädchens, das auf eine Party der Drogenszene gerät („Mama Told Me Not To Come“). Er berichtet von den Sehnsüchten des deutschen Kindermörders Bratsch („In Germany Before The War“), oder er schlüpft in die Rolle des weißen Sklavenhändlers, der Afrikanern von einem wunderbaren Amerika vorschwärmt („Sail Away“). Die dazugehörige Musik ist Gershwin, Weill und Blues und klingt, als ob Fats Domino Bertolt Brecht singt.

Wenn Popmusik heute nach gesungenen Tagebucheintragungen klingt und englische Reimlexika den Rhythmus vorgeben, ist Randy Newman ein Komponist, dem Subjektivität niemals ausreicht. Er schreibt nicht nur Lieder über das Leben am Rande der Gesellschaft, er singt aus den Köpfen seiner Protagonisten und mit ihren unterschiedlichen Stimmlagen. Am Totenbett der Eltern verspricht ein Freund, auf ihren großleibigen Sohn Davy Acht zu geben. Das tut er dann auch, indem er den dicken Jungen auf Jahrmärkten in einer Freak Show präsentiert („Davy The Fat Boy“).

Früher Ruhm blieb dem talentierten Komponisten Newman zunächst verwehrt. Sein Debüt Greatest Something New Under The Sun von 1968 verkaufte sich so schleppend, dass die Platte später als Werbegeschenk von Warner Brothers verteilt wurde. Die Hits landeten andere: Judy Collins und etwa 40 weitere Interpreten sangen sein „I Think It‘s Going To Rain Today“. Seine zynische Komposition „Lonely At The Top“, ursprünglich für Frank Sinatra geschrieben, wollte dieser nicht singen, weil er darin einen Seitenhieb auf sein Toupet versteckt sah.

Erst 1977 erreichte Newman mit dem Verachtungs-Song „Short People“ von der Little Criminals-Platte die Nummer eins der Charts, obwohl das Lied von vielen Radiostationen nicht gespielt wurde: „Short People Got No Right To Live.“ Wenn heute fast die ganze Innovation, neue Sounds, Beats und der Mut zur Lücke in drei Komponisten-Köpfen zu entstehen scheint, nämlich denen von Timbaland und den Neptunes, so waren es in den 60ern und 70ern Van Dyke Parks, Harry Nielsson und Newman, welche die Intensität und Tiefe ausloten konnten, die ein Popsong erreichen kann. Parks, selbst ein manieristischer Exzentriker, orchestrierte Newmans erste Platte. Nielsson spielte 1970 ein ganzes Album mit Liedern von Newman ein (Nilsson Sings Newman).

Aktuelle Produktionen gibt es von Newman kaum mehr. Vor einigen Jahren erschien sein Gesamtwerk als 4-CD-Box. Jetzt tourt er mit seiner neuen Compilation Songbook Vol.1. Im Gegensatz zu seiner wohlerzogenen Kollegin Joni Mitchell, die ihre größten Erfolge von einem Orchester neu einspielen ließ, hat Newman für Songbook nur noch das Klavier übrig gelassen. Und so wird wohl auch heute das Konzert in der Musikhalle klingen. Randy Newman am Flügel nimmt Wünsche vom Publikum entgegen. In Schwarz, Weiß und Technicolor.

Heute, Musikhalle, 20 Uhr