Geheime Zeichen

Das Chaos ordnen: Fotografin Christine Würmell dokumentiert in der Galerie Bebensee Graffiti-Dokus

Schon im Rahmen der zweiten Fototriennale waren in der Galerie Bebensee Arbeiten von Christine Würmell zu sehen – Architekturfotos von Einfamilienhaus-Idyllen, hochglänzende Dokumente unserer Architekturumwelt, denen Würmell Schaden zufügte: Die Fotografie wurde unter ihrer Hand zur abgeschabten Oberfläche, zur infektiösen Wunde, die zeigen sollte, wie sich vielleicht diejenigen fühlen,die dort wohnen.

Auch in ihrer neuen Serie „Public Library Los Angeles“ beschäftigt sich die in den USA lebende Künstlerin mit öffentlichem Raum – beziehungsweise mit dem Anspruch, diesen Raum mit Zeichen zu versehen. Zum einen gibt es da „gute“, also legale Zeichen – den Schilder- und Plakatwald der Werbung etwa. Dieser ist affirmativ und bringt Geld ins Staatssäckel und wird also geduldet und gefördert.

Anders sieht es mit subkulturellen Eingriffen aus, mit Tags und Graffiti, die Christine Würmell als fotografierte Reproduktionen aus Büchern zeigt, die sie in Bibliotheken in Los Angeles fand. Die Geheimwelt der Gangs und Sprayer fasziniert Würmell, ihre Codes und Zeichen – und die kulturwissenschaftlichen Bibliotheks-Bände nehmen das Thema ernst: In die Karte des Stadtteils South Central – einem Mythos der Gang- und HipHop-Kultur – hat ein Wissenschaftler die Grenzen der Gangreviere eingezeichnet. Eine dünne Linie bezeichnet den Übergang vom Gebiet der „Washington Boys“ zu dem der „Street Saints“. Doch der Kampf geht in der Bibliothek weiter. Ein Leser hat mit blauem Stift die Zeichen seiner Konkurrenten in dem Buch unkenntlich gemacht. Andere haben die Reviergrenzen durchgestrichen – und korrigieren damit in der stillen Bibliothek das Chaos da draußen.

Christine Würmell notiert das alles mit der Kamera. Doch nicht nur Sprayer hantieren mit Farbdosen. Das machen auch – ganz legal – Mitarbeiter von Telekommunikationsunternehmen, die Leitungspunkte auf dem Straßenbelag kennzeichnen. Ihre Arbeit hat dienenden Charakter – und konterkariert das zweckfreie Sprühen. In dem Video Auf dem Dach wird die Künstlerin zur Schauspielerin, die das (legale) Sprayen tänzerisch persifliert. Sie klackert mit der Dose und beginnt auf dem Dach ihres Ateliers mit ihrem Werk. Doch als sie einen Sprayer fragt, ob er ihr seine Signatur, erklären könne, verneint er. Doch er bietet Lehrstunden in seiner Sprache an. Auch ein Zugang. Marc Peschke

Bis 30. April 2003, Di–Fr 15–19 Uhr, Sa 12–15 Uhr. Galerie Bebensee, Alsterdorfer Straße 339