Das wahre Wochenende

Gegen den Stumpfsinn und das Gemeine: Heute Nacht wird uns Erol Alkan, der weltbeste Bootleg-Superstar-DJ aus London, im Cookies unsere Arroganz rauben

„He’s playin’ my tape, he’s playin’ my tape!“ Chris schlägt die Hände ins Gesicht, seine Wangen glühen rot, die Stimme schlägt in höchste Töne um. Es ist Montagnacht, wir sind bei „Trash“ im Club „The End“, West Central Street, der besten Party an einem Montag in London. Für Chris, einen androgynen Jungen, der vor drei Monaten von Leeds nach London gezogen ist und in einer Bar in der Old Compton Street arbeitet, geht gerade ein Traum in Erfüllung. Erol Alkan, Resident-DJ des „Trash“, von englischen Musikmagazinen zum weltbesten Bootleg-DJ gekürt, spielt Chris Track: Justin Timberlake unterlegt mit einem schrillen Elektrosound. Die richtigen Klänge für typisches Trash-Publikum: Die Jungen eine Mischung aus Glam-Rock-Dandys in Glitzeranzügen mit Spazierstöcken aus Ebenholz und Britpoppern mit halblangen Haaren und riesigen Sonnenbrillen. Die Mädchen sehen aus wie Courtney Love auf sehr reinem Heroin. Eine Elite der Clubkultur, extensiv beim Tanzen, gedankenlos beim Trinken, Rauchen, Schnupfen. Die Haltung: abgefuckt, ohne dabei den guten Stil zu verraten. Seit fünf Jahren trifft sich Montags diese illustre Gruppe, wenn für die meisten der Spaß schon wieder vorbei ist. Sie feiern das wahre Wochenende.

Hinter dem DJ-Pult steht ein mittelgroßer Junge, halblange schwarze Haare, ein mit Buttons übersätes Batman-T-Shirt, dicke Kopfhörer mit Ledersteg und grauen Muscheln, zerlöcherte Jeans. Erol Alkan spielt New Order, Madonna, Nirvana, Joy Division, Depeche Mode, Sex Pistols, Air, Nancy Sinatra, Felix da Housecat, Duran Duran, alles wild gemixt. Der 28-Jährige, der als Sohn türkischer Eltern in Nordlondon aufwuchs, ist der Vater des Bootleg-Hypes. Verstand man früher unter dem Begriff Bootleg in erster Linie Live- Mitschnitte von Konzerten oder unveröffentlichte Studio-Versionen, hat Alkan das Mixen von Acapella-Gesang und Instrumental-Ton zur Lieblingsbeschäftigung aller Musik-Nerds gemacht: Wer heute 20 ist, steht vor einem Mount Everest guter, wichtiger Musik. Etwas Neues zu schaffen scheint sehr schwierig. Mischen, etwas zu etwas nicht Dagewesenem zu verbinden, wird zur attraktiven Möglichkeit, etwas von dem, was in einem schlummert, ans Licht zu lassen.

In Londons Clubscene ist Erol Alkan umgeben von Bewunderern. Die Mädchen wollen mit ihm zusammen sein, die Jungs so sein wie er. Trotzdem lässt Erol sich in der Face bescheiden zitieren: „Bevor ich mich benehme wie der Superstar-DJ, esse ich meine Hosen. Ich fühle mich im Schatten wohler als im Glanz.“ Eine koketter Satz. Und noch einer: „Bootlegs zu machen und sie seinen Freunden zu schicken, ist toll, aber das macht jetzt einfach jeder. Es langweilt mich schon wieder.“ Die Kälte der Arroganz blitzt über sein Gesicht. Eindeutiges Erkennungszeichen für einen liebenswerten Freundeskreis sensibler Menschen, die sich mit etwas Kälte gegen den Stumpfsinn und das Gemeine, das uns umgibt, verbünden.

Heute Nacht spielt Erol Alkan also im Cookies. Er trifft auf ein Publikum, dass sich in den erträglichsten Schutzraum Deutschlands, nach Berlin-Mitte, zurückgezogen hat. Wir werden uns vom magnificent Erol Alkan gern unseren wärmenden Eisblock rauben lassen. Am nächsten Morgen ist unsere Sicherheit dann sicher wieder stark: Niemand ist toll genug, uns zu erweichen. HENNING KOBER

Heute, ab 23 Uhr, im Cookies, Charlottenstraße, Mitte