UMWELTSCHUTZ: ALLTAGSUNGLÜCKE IN NORD- UND OSTSEE
: Die Diffusen sind die Schlimmsten

Es braucht schon eine Katastrophe wie ein Tankerunglück, bis sich Bundesregierung und Europäische Kommission für den Schutz von Nord- und Ostsee einsetzen. Die Öffentlichkeit ist da nicht weiter. Umweltverbände wie Greenpeace sind auf Sympathieträger wie den Wal angewiesen, um auf die Probleme der Meere aufmerksam zu machen. Der Umweltrat hat nur Papier zur Verfügung und findet damit womöglich zu wenig Beachtung. Dabei ist sein Gutachten „Meeresumweltschutz für Nord- und Ostsee“ alarmierend. Die Meere sind in Seenot.

Eingelegt und eingedost oder filettiert und paniert – so lassen sich die Deutschen die proteinreichen Meeresbewohner schmecken. Niemand will aber etwas darüber wissen, dass Speisefische wie der Kabeljau vom Aussterben bedroht sind, Fangflotten für Fischstäbchen die Meere plündern. Niemanden interessiert, dass die schleichende Verschmutzung der Meere zunimmt, weil die Bauern die Böden überdüngen und ihr Stickstoff über die Bäche ins Meer gespült wird. Oder weil Kläranlagen Rückstände von Medikamenten nicht filtern können. Das sind die „diffusen Einträge“, die jeder für sich so unspektakulär sind, die die Politik aber nicht in den Griff bekommt, ja es noch nicht einmal versucht.

Anfang der 80er-Jahre ging es um etwas Greifbares: um die Verklappung von Müll auf hoher See, um Giftcocktails, die die Industrie wider besseres Wissen, aber auch wegen fehlender Vorschriften einleitete. Da schritt die Politik vergleichsweise rigoros ein, sprach Verbote aus, verpflichtete dazu, Abwässer zu klären. Pech nur, dass nun alle glauben, alles sei gut. Anlass zur Sorge scheint allenfalls mal ein schrottreifer Chemikalientanker zu sein, der von der russischen Ostseeküste aus einen westeuropäschen Hafen ansteuert.

Aber das reicht nicht. Zwar arbeitet die EU derzeit an einer Meeresschutzstrategie. Auch wenn jetzt die Beitrittskandidaten, die immerhin ein Drittel der Ostseeküste repräsentieren, in Kläranlagen investieren: Der Zeitdruck ist viel größer als bisher vermutet. HANNA GERSMANN