Die ungezählten Todesopfer des Krieges

Schätzungen über „Gefallene“, Bombenopfer, „Kollateralschäden“, „Friendly Fire“-Tote und andere Kriegsopfer

BERLIN taz ■ Eins ist sicher: Niemand wird genau erfahren, wie viel Menschen in diesem Krieg sterben. Denn am „Body Count“ haben beide Seiten kein Interesse. Sie geben die Zahl der Opfer allenfalls selektiv an. Während Amerikaner und Briten über ihre Toten Buch führen, gibt es über irakische Opfer – Soldaten wie Zivilisten – nur Schätzungen.

Nach Angaben des Pentagon und des britischen Verteidigungsministeriums starben bis zum Sonntag 112 amerikanische und britische Soldaten durch feindliches Feuer (59 Amerikaner, 9 Briten), so genanntes Friendly Fire und kriegsbedingte Unfälle (22 Amerikaner, 22 Briten). 8 US-Soldaten wurden vermisst, 7 gefangen genommen. Etwa doppelt so viel Briten starben also durch Beschuss der eigenen Seite (meist der US-Truppen) als durch den Feind.

Für die toten und vermissten irakischen Militärs gibt es keine Angaben. Die britische Zeitung The Independent gibt auf ihrer täglichen Opferliste die Zahl der getöteten irakischen Soldaten ohne Quellenangabe mit „mehr als 3.300 Solaten“ an. Ein US-Offizier schätzte allein die von einer US-Panzerkolonne bei einem Vorstoß auf Bagdad am Samstag getöteten Iraker mit über 2.000 an. Ob dies reguläre Soldaten, Republikanische Garden, Milizen oder Zivilisten waren, ist unklar. Da die irakischen Soldaten nach US-Angaben auch in Zivil operieren, dürften sie von Zivilisten oft ohnehin nicht zu unterscheiden sein. Gemeinsam ist den irakischen Opfern, dass sie für die Öffentlichkeit anonym bleiben, solange sie nicht zur Führung des Regimes gehören.

Demgegenüber wird getöteten, vermissten und gefangenen amerikanischen und britischen Soldaten auf eigens eingerichteten Webseiten (zum Beispiel des Senders CNN) gedacht. Neben Fotos finden sich dort Angaben über Alter, Dienstgrad, Einheit, Heimatort und Todesursache.

Nach US-Angaben wurden über 6.500 irakische Soldaten gefangen genommen. Doch über die Zahl ziviler Opfer der Bombenangriffe schweigt das US-Militär. Stattdessen nennt Iraks Regierung hier Zahlen. Vor dem Wochenende wurde die Zahl getöteter Zivilisten noch mit „mindestens 1.252“ angegeben. Zuletzt gab es aber keine neuen Angaben mehr, womöglich hätten auch sie den Machtschwund des Regimes dokumentiert. Nach den ersten Kämpfen in Bagdad berichteten Krankenhausmitarbeiter, dass stündlich 100 Opfer eingeliefert worden seien.

Britische und amerikanische Wissenschaftler und Friedensaktivisten versuchen im Rahmen des Projekts „Iraq Body Count“ getötete irakischen Zivilisten zu zählen. Dabei wird auf online verfügbare internationale Medien zurückgegriffen, sofern die Angaben in mindestens zwei Quellen auftauchen.

Das Projekt (www.iraqbodycount.net) schätzt die Zahl ziviler Opfer auf 877 bis 1.050. Nicht mitgezählt sind bei allen Schätzungen indirekte Todesopfer. Des Weiteren gibt es Tote unter kurdischen Kämpfern und Zivilisten in Nordirak sowie unter Journalisten. SVEN HANSEN