Medea geht duschen

Michael Helle inszeniert am Theater Aachen „Mama Medea“ von Tom Lanoye. Im Gegensatz zur klassischen Vorlage von Euridipes gibt er dem Text einen eindeutigen Schluß – in der Duschkabine

VON STEFANIE TYROLLER

Vorbei die Zeit, in der ein Regisseur Klassiker zertrümmern, Figuren demontieren und Sprache verfremden muss, um aus altem Stoff Bezüge zum Alltag des Publikums herzustellen. Er nehme einen Theatertext wie “Mamma Medea“ des belgischen Autors Tom Lanoye und finde den antiken Mythos und sein Figurenpersonal situationsgetreu ins Heute übertragen. Michael Helle hat das Stück am Theater Aachen in Szene gesetzt.

Die Geschichte der Königstochter Medea, die ihrem Geliebten Jason ins fremde Land folgt und von ihm in jeder Hinsicht enttäuscht und auch noch verstoßen wird, erzählt Lanoye als modernes, von Eifersucht und Egoismus geprägtes Beziehungsdrama. Die rhythmische Versform des antiken Dramas hat Lanoye mit saloppen Ausdrücken und umgangssprachlicher Prosa verknüpft, die dem Text einen ironischen Unterton geben.

Den ersten Teil des Stückes, in dem Medea sich in Jason verliebt und mit ihm flieht, inszeniert Helle in einem archaischen, kühlen Raum. Über der Bühne ragt eine weiße Halbkugel empor, die Medea und ihre Verwandten und Jason mit seinen Gefährten mühsam überwinden, bevor sie zusammen kommen. So beeindruckend das Bühnenbild von Dieter Klaß auch ist, hat es doch seine Tücken: Die Darsteller wirken über weite Strecken hinweg statisch, kühl und distanziert, nur ansatzweise kommt der ironisch- witzige Unterton der Textvorlage zutage. Bettina Ernst als Medea lebt allerdings die Wucht ihrer Gefühle voll aus. Sie kugelt sich maßlos verliebt, aber auch von Zweifeln geplagt im Abendkleid über die Schräge hinweg, spielt überzeugend die gefühlsbetonte, naive Schwärmerin, die gleichzeitig strategisch und kühl berechnend ihrer eigenen Zukunftsvision zuarbeitet. Im zweiten Teil zeigt Helle Medeas Ankunft im Alltag. Sie ist mit ihren beiden Kindern im Asylheim gelandet. Die Ehe ist am Ende, Jason will eine andere heiraten, sie soll mit den Kindern abgeschoben werden. Verzweifelt nimmt Medea den Kampf um ihren Gatten auf, auch den Mord an der Rivalin nimmt sie in Kauf.

In der Schlusskonfrontation läuft Christian Schulz als Jason zur Hochform auf. Der verhinderte Held rastet aus, nachdem er seine Braut verloren hat und seine Söhne tot glaubt. Er wütet, schreit, vergewaltigt Medea brutal, um mit ihr und seinem verlorenen Leben abzurechnen. Es ist die intensivste Szene der Inszenierung, die deutlich macht, warum diese Ehe scheitern muss: weil zwei Menschen nicht aus Liebe, sondern aus der Verstrickung persönlicher Interessen aneinander gekettet sind. Am Ende sitzen Medea und Jason auf dem Sofa und rauchen eine Zigarette. Medea legt ihre Kleider ab und steigt in die Dusche, Jason folgt ihr – zwei Menschen, die nicht zusammen passen, aber auch nicht zu trennen sind.