frisches flimmern
: Ein Hauch von Berlinale

Bis Sonntag finden die 54. Internationalen Filmfestspiele in Berlin statt. Viele Filme feiern dort ihre Premiere. Vier davon lassen einen Hauch Berlinale 2004 schon ab heute durch die heimische Kinos wehen.

Berlinale I

Eine Dosis Viagra wirkt oft Wunder. In „Der menschliche Makel“ durfte Anthony Hopkins noch die tolle Putzfrau Nicole Kidman beglücken. Für Jack Nicholson wird die Lustpille in Nancy Meyers Liebeskomödie „Was das Herz begehrt“ anfänglich zum Desaster. Er spielt den angegrauten Musikproduzenten Harry Sanborn, der grundsätzlich nur mit Frauen unter 30 ausgeht. Mit seiner neuesten Eroberung Marin (Amanda Peet) will er sich im Wochenendhaus der Mutter auf Long Island vergnügen. Doch vollgepumpt mit der Liebesdroge hat sein Herz plötzlich Aussetzer. Der Draufgänger wird zum gebrechlichen Lustgreis. Ausgerechnet Marins Mutter Erica Barry (Diane Keaton) muß ihn notgedrungen gesund pflegen und schon ist Amors Pfeil im Anflug.

Den beiden Schauspielroutiniers Keaton und Nicholson kann jeder ihren Spaß beim Dreh ansehen. Nancy Meyers hat eine lustig-romantische Komödie abgeliefert, die bis in die Nebenrollen (Keanu Reeves als jugendlicher Arzt) perfekt besetzt ist. Den Rest erledigen deutsche Profis wie Kameramann Michael Ballhaus und Komponist Hans Zimmer. Der Film läuft bei der Berlinale außer Konkurrenz.

Berlinale II

Der offizielle Wettbewerbsbeitrag „The Missing“ von Ron Howard spielt im Jahre 1885. Die alleinstehende Maggie Gilkeson (Cate Blanchett) versucht zusammen mit ihren beiden Töchtern Lilly (Evan Rachel Wood) und Dot (Jenna Boyd) in der kargen Prärie des Südwesten der USA zu überleben. Eines Tages taucht ihr Vater Samuel Jones (Tommy Lee Jones) auf, der vor 20 Jahren die Familie im Stich ließ, um bei den Apachen zu leben. Maggie weist ihn zurück. Traumatische Erlebnisse aus ihrer Kindheit werden wach. Als Lilly vom indianischen Hexenmeister Pesh-Chidin (Eric Schweig) entführt wird und die Behörden nicht reagieren, muss sie ihren verhassten Vater um Hilfe bitten. Denn seine übersinnlichen Fähigkeiten sind ihre letzte Chance.

„The Missing“ ist ein düsterer Frontier-Thriller. Er erzählt vom Frauenhandel in der Periode des wilden Westens, die vom Fehlen einer staatlichen Ordnung und Gesetzlosigkeit geprägt war. Authentisch wollte Regisseur Howard das harte Prärieleben darstellen. Er orientiert sich nebenbei an John Fords Klassiker „The Searchers“. Die Bösewichter sind selbstverständlich Indianer. Damit wird das amerikanische Lieblingsgenre weiter künstlich beatmet.

Berlinale III

In der Sektion Kurzfilm wird auch „True“ von Tom Tykwer gezeigt, der im Rahmen des Kompilationsprojektes „Paris, je t‘aime“ entstanden ist. Viele Filmgrößen wie Jean-Luc Godard, Woody Allen, Agnès Varda, aber auch Newcomer wie Alejandro González Iñárritu (“21 Gramm“) erzählen je eine Geschichte über die Liebe. Bei Tykwer teilt Francine (Natalie Portman) ihrem blinden Freund Thomas (Melchior Beslon) per Telefon mit, dass sie ihn verlassen wird. Nach dem Gespräch erinnert er sich an viele folgenreiche Momente mit ihr. Erhält er vielleicht eine zweite Chance?

Tykwer lässt die vorbeiziehenden Gedächtnisfetzen von Thomas stark beschleunigt ablaufen. „Ich wollte einen Film machen, der den Fluss der Erinnerungen im Sinne von Godard auf die Leinwand bringt“, sagt Tykwer. Da noch nicht alle Beiträge des Projektes fertig sind, läuft „True“ in Nordrhein-Westfalen schon mal als zugkräftiger Vorfilm zu „Was nützt die Liebe in Gedanken“ von Achim von Borries.

Berlinale IV

Das Panorama-Programm der Berlinale widmet sich dem Arthouse- und Autorenfilm. Unkonventionelle europäische Werke stehen im Vordergrund. Als Special wird „Was nützt die Liebe in Gedanken“ von Achim von Borries gezeigt. Die Gymnasiasten Paul (Daniel Brühl) und Günther (August Diehl) verbindet im Berlin der 20er Jahre eine enge Freundschaft. Aufgewühlt von ihren Gedanken um Liebe und Glück gründen sie einen Selbstmörderclub, wollen aus dem Leben scheiden, wenn sie keine Liebe mehr empfinden können und alle mitnehmen, die ihnen diese Liebe geraubt haben. Gemeinsam mit Günthers Schwester Hilde (Anna Maria Mühe) verbringen die Freunde ein Wochenende auf dem Land. Paul verliebt sich in das Mädchen. Doch Hilde spielt mit allen. Heimlich trifft sie sich mit Hans, dem ehemaligen Liebhaber von Günther. Als dieser auch noch auf einer Sommerparty im Haus von Günthers Familie auftaucht, eskaliert die Situation. Im Rausch von Absinth und Sex kochen die Emotionen hoch und die Geschichte nimmt ihren tödlichen Lauf.

Das Drama basiert auf dem sogenannten Steglitzer Schülerskandal von 1927. In dem von der Filmstiftung NRW geförderten Film treten viele junge Schauspieltalente auf. Allen voran Jana Pallaske (“alaska.de“), Anna Maria Mühe (“Große Mädchen weinen nicht“) und August Diehl (“Lichter“).

STEFAN ORTMANN