Vater Staat streicht Muttersprache

An zwölf Schulen in Essen wird kein Türkisch mehr unterrichtet. Der türkische Elternverein der Stadt hat über tausend Unterschriften gegen die Streichung gesammelt

ESSEN taz ■ Er soll die Integration fördern und identitätsbildend sein. Das schreibt das Schulministerium in NRW auf seiner Internetseite zum Thema „muttersprachlicher Unterricht“. Doch nun streicht das Bundesland 450 der rund 1.500 Stellen für Muttersprachenlehrer. Für zwölf Essener Schulen bedeutet das: Es wird keinen muttersprachlichen Unterricht in Türkisch mehr geben.

Der türkische Elternverein der Stadt hat etwa 1.600 Unterschriften gesammelt und macht sich so für den Fortbestand des muttersprachlichen Unterrichts stark. „Wir werden alles versuchen, um die Landesregierung davon zu überzeugen, dass der Muttersprachenunterricht wichtig ist“, sagt Muhammet Balaban. Er ist Vorsitzender des Ausländerbeirates Essen und wird im Laufe der kommenden Woche die Unterschriftenliste dem Schulministerium vorlegen.

Warum der muttersprachliche Unterricht gestrichen wird? Düsseldorf begründet es so: „Dieser Unterricht richtet sich nach dem Bedarf.“ Erst wenn sich genug ausländisch-stämmige Schülerinnen und Schüler einer Muttersprache finden, werde der Sprachunterricht eingerichtet. Es sei ein „zusätzliches Angebot“, so Stephanie Paeleke von der Pressestelle des Ministeriums. Außerdem werde die Integration besser gefördert, wenn „in erster Linie Deutschkenntnisse erworben werden.“ Doch ein Bedarfsproblem kann Muhammet Balaban nicht sehen: „Es sind doch genügend Kinder da, die Türkisch lernen wollen.“

Günter Dercks von der regionalen Arbeitsstelle zur Förderung ausländischer Kinder und Jugendliche findet es bedauerlich, dass der muttersprachliche Unterricht gestrichen wird. Viele Schülerinnen und Schüler identifizierten sich zunächst mit der Muttersprache: „Erst wenn sie die beherrschen, ist Platz für Deutsch.“ Mehmet Kekec vom türkischen Elternverband ist wütend: „Auf der einen Seite sagen sie, die Muttersprachenkenntnisse bildeten das Fundament zum Erlernen der deutschen Sprache. Auf der anderen Seite streichen sie den Unterricht.“ Das Bildungsministerium hält dagegen: Das vorrangige Anliegen des Bundeslandes sei eben die Sprachförderung in Deutsch. Das heiße aber nicht, dass der Muttersprachenunterricht komplett gestrichen werden soll.

Den in Essen lebenden Türken nützt diese Einschränkung nicht viel. Sie versuchen nun trotz des Wegfalls der Lehrerstellen, den Unterricht weiter fort zu führen. Muhammet Balaban: „Dazu wollen wir mit den Schulen in Essen kooperieren, an denen der muttersprachliche Unterricht noch besteht.“ Die LehrerInnen sollen ihre SchülerInnen darüber informieren, an welche Schule sie zum Muttersprachenunterricht gehen können. Merjam Wakili