Bei Mondschein hat die Kelle Ruh‘

Was braucht es im Frühjahr? Nagelneue Epik oder: den Bauarbeiterroman

Zwischen seinen faulig-braunen Raubtierzähnen hingen die Fetzen eines Plockwurstbrots

„Nein – nein, Meister!“ Vor Empörung zitternd schlug Horst Harmsen die schmutzige Pranke des Poliers zurück. „Ich bin vielleicht nur ein Stift“, stammelte Horst, „aber ich lasse mir nicht alles gefallen!“ Er ballte die rechte Faust so fest, dass durch die sonnengebräunte Haut weiß die Knöchel hervortraten. Mit der linken Hand rieb er sein schmerzendes Hinterteil.

Ewaldsen grinste verschlagen. Zwischen seinen faulig-braunen Raubtierzähnen hingen die Fetzen eines hastig verschlungenen Plockwurstbrots. Aus seinem Rachen drang ein Dosenbiergestank, der Horst fast ohnmächtig werden ließ. „Na, nu hab dich ma nich so, Jungchen!“, knurrte er. „Bist so ein süßer Bengel … Da wird doch mal ’n Klaps erlaubt sein!“ Und schon schob der bullige Bautruppführer sich bedrohlich näher. Krachend brachen Gase aus seinem Darm.

Horst suchte verzweifelt nach einem Fluchtweg. Doch der enge, brütend heiße Bauwagen schien von Ewaldsens bärenhafter Gestalt ausgefüllt. Die blanken Bohlen der Holzwände zerschrammten Horsts makellos geformten Rücken, als der feiste Polier ihn in die Ecke drängte. „Mutter … verzeih mir …“, dachte der junge Maurer. Er fühlte, wie ihm die Knie im Blaumann weich wurden. Um Horst herum wurde es dunkel.

Plötzlich dröhnte die windschiefe Tür des Wagens unter mächtigen Schlägen. Eine tiefe, wohltönende Stimme rief: „Ewaldsen! Was ist da los? Mach auf, du Schwein!“ Die schmierig-schwarzen Augen des Poliers flackerten ängstlich. „Was willst du, Gudmundsen?“, brüllte er. Gelber Speichel troff von seinen aufgequollenen Lippen, aus seinen fettigen Poren quollen milchig weiße Schweißtropfen. Ein weiterer heftiger Schlag, und die Tür zersplitterte in tausend Stücke. Von der gleißenden Julisonne umstrahlt, ragte eine mächtige Silhouette im morschen Rahmen. Horst spürte sein Herz stärker klopfen, doch nicht mehr vor Angst. „He, Meister“, lächelte er grimmig, „das Spiel ist aus!“

Ewaldsen holte mit der bratpfannengroßen Hand aus und kreischte: „Du frecher Bengel, ich werd’s dir zeigen!“ Doch da packte ihn Gudmundsen und schleuderte den schwabbeligen Schurken wie einen Scheuerlappen durch die zertrümmerte Tür. Ein lautes Gejohle erscholl auf dem Bauplatz.

„Na, Horst – alles in Ordnung?“ Sorge stand im männlich-markanten Gesicht des Betonfacharbeiters. Der junge Maurer grinste schüchtern: „Ja, Thorsten … Jetzt ja!“

*

Herzhaft biss Horst in sein Schinkenbrötchen. „Und du meinscht“, fragte er mit vollem Mund, „der Ewaldschen läscht mich jetscht in Ruhe?“ Ein seidiger Wind strich über die Baustelle. Es war elf Uhr – Mittagspause! Blaue Stille lag über dem frisch verschalten Fundament der neuen Polizeiwache. Es duftete nach Löschkalk, Pulverkaffee und hart gekochten Eiern. Nur manchmal zerriss ein raues Lachen die idyllische Atmosphäre: Die Männer wurden nicht müde, sich vom schmählichen Sturzflug des verhassten Poliers zu erzählen.

„Dieser Widerling wird künftig einen weiten Bogen um dich machen“, nickte Thorsten. „Sonst brech ich ihm alle Knochen.“ Er machte eine entsprechende Geste, und Horst konnte nicht anders, als das Spiel der gewaltigen Bizepsmuskeln zu bewundern.

„Du … bist so wahnsinnig … stark!“, flüsterte er hingerissen. Thorsten winkte bescheiden ab: „Ach was. Arbeite du erst mal ’n paar Jahre auf dem Bau, dann passt du auch in kein normales Hemd mehr. Die richtigen Anlagen hast du ja, Kleiner!“ Horst errötete sacht. Sicher, er war erst 16 Jahre jung. Doch er hatte schon den Körper eines Mannes! Gudmundsen legte seine Hand vertraulich auf die Schulter des Lehrlings. „Du, Horst“, sagte er leise. „Ein bisschen versteh ich den Polier ja …“

„W-warum?“, stotterte Horst, dem unter der zarten Berührung des Betonbauers heiß und kalt zugleich wurde. Der blonde Flaum auf seinem Rücken richtete sich auf. Er hatte das Gefühl, dass seine Brust gleich zerspringen müsste. Was geschah nur mit ihm …?

Bebend reichte er Thorsten die Schinkensemmel. „Willst du … vielleicht mal abbeißen?“ Gudmundsen lächelte warm – wärmer als die Julisonne. Weit über ihnen, im rostfleckigen Gestänge des Baukrans, sang eine einsame Amsel. Sacht berührten sich ihre Finger. Und beide erschauerten, als die Margarine des Brötchens schmolz und sanft über ihre Hände floss.

*

Verträumt schaufelte Horst den Zement ins nimmersatte Maul der Mischmaschine. Ein nie gekannter Stolz erfüllte ihn: Als er mit Thorsten unter der provisorischen Löschschlauchdusche Erfrischung gesucht hatte, war plötzlich Klaus Kroesen, der kleine Verputzer, aufgetaucht.

Der lustige Bursche schwenkte wild ein langes Stück Lattenholz, auf dem mit einem Zimmermannsbleistift krakelig „Thorsten“ geschrieben stand. „Wir brauchen ein neues, ein neues!“, krähte Kroesen und gestikulierte anzüglich vor den Hüften des jungen Maurer-Azubis.

Morgen war Berufsschule. Und Horst wusste genau – er würde was zu erzählen haben!

GERT OCKERT