: Die Substanz des Stars
Metaphysik in eigener Sache: Prominente diskutierten auf dem „Berlinale Film Talk“ in zwei Panels, was Startum ausmacht. Liegt es im Körper der Ausgezeichneten oder im Begehren des Betrachters?
von DIEDRICH DIEDERICHSEN
Man muss den Panels „Stars und Starkult“ und „Reigning Stars – Von der Traumfabrik zur Realpolitik“ zunächst ein Lob zollen. Sie ließen sich handgestoppte 33 Minuten Zeit, bevor sie das erste Mal „Warhol“ und „15 Minuten“ sagten. Wider Erwarten war das erste Panel das interessantere. Ohne dass sich eine allzu beharrlich vertretene Position erkennen ließ, wurde eigentlich alles gefragt.
Zeichnen sich Stars durch Abweichung von der Norm aus, wie Moderator Dieter Bartetzko (FAZ) an seinem Nana-Mouskouri-Beispiel zu erläutern versuchte? Oder durch harte Arbeit und eisernen Willen, wie der allseits beliebte Thomas Stein (Juror bei „Deutschand sucht den Superstar“) wissen wollte? Bedarf es am Ende eines soliden handwerklichen Könnens, wie Elisabeth Bronfen am Beispiel Robert DeNiro gegen den allgemeinen Pessimismus, heute gebe es keine Stars mehr, einwenden wollte? Oder ist er einfach ein guter Schauspieler, und das sei eine ganz und gar andere Kategorie, wie der in Stuttgart tätige Medienwissenschaftler Stephan Lowry – als einziger in der Runde um das undankbare Geschäft der Begriffsklärung und Kategoriensauberkeit bemüht – zu bedenken gab? Michael Verhoeven wusste dazu eine Künstleranekdote.
Das war weder „totaler Unsinn“ (Stein), noch „völlig logisch“ (auch Stein), sondern ein idealer Anfang für eine Stoffsammlung, zu der sich bald noch mehr Stoff gesellen sollte. So umkreiste man das Problem, dass es bei Stars halt ein strukturelles Problem mit Konstante und Variable gibt, ohne es so zu nennen: Ist einer immer gleich, ist er zwar Star, aber bald langweilig, kann einer immer anders, ist er ein guter Schauspieler, also leider kein Star.
Die Lösung läge in der Mitte: phasenweise gleich bleiben und dann ein anderer werden. Das aber nimmt das Publikum übel, wie Lowry anhand von Romy Schneider vertiefte, die für den Versuch, ihr Signifikat zu ändern (von „Sissi“ in „Wildes Schaf“) abgestraft worden sei. Die Industrie, so Stein, hat ein Interesse an Kontinuität, aber Globalisierung und Shareholder-Kultur machen nicht mit, oder Leute wie Zlatko „treten sich selbst ins Kreuz mit ihrem Intellekt“ (Stein). S’ ist halt eine „ganz andere Zeit“ heute, seufzten alle einig. Nur Bronfen beharrte auf der Zukunftsfähigkeit des „Begehrens“ und des „Charismas“. Verhoeven wusste eine weitere Künstleranekdote.
Obwohl ständig Indizien für das Gegenteil genannt wurden – Inszenierung, Rezeptionsdynamik, „Ich habe selbst einen gekannt, der …“ (Verhoeven) –, beharrte die Runde auf einer Substanz des Stars und schaltete traurige Suchanzeigen nach „Aufbruchsstimmungen“, die es früher gegeben haben muss. Hans Ulrich Jörges freute sich auf dem zweiten Panel, dass es mit Spaßpolitikern vorbei sei. Seine These: Die Menschen wollen keine Medienpolitiker mehr, sie wollen Kompetenz, sie durchschauen Inszenierungen. „Kompetenz“ – keine Inszenierung? Seine zweite These: Die Medien zwingen Politiker zu populistischem Handeln. Den Widerspruch taufte er Paradox. Paradox ist aber ein Begriff, der aus sich selbst heraus sein Gegenteil mit bedeutet, nicht einfach eine ausgeläpperte Kategorie wie „Die Politik“ oder „Die Medien“.
Mit Politik war nur das Handeln von Berufspolitikern gemeint. Mit Medien entweder die Öffentlichkeit oder das Fernsehen. Populismus als Schwundstufe von Demokratie wäre aber genau das Placebo, das gereicht wird, um einen Zusammenhang zwischen der politischen Dimension meines eigenen machtlosen Lebens und den Entscheidungen der Mächtigen zu suggerieren. Dabei beruft sich dieses Placebo implizit auf die Erinnerung an eine größere Nähe zwischen der persönlichen und der öffentlichen Politik, die es in „ganz anderen“ Zeiten schon gegeben haben soll; auf die Erinnerung an Wirkung von Kritik und damit an eine anders verfasste Politik.
Das wäre aber ein Einwand gegen eine Debatte, die eh schon ihr Thema verfehlt hatte. Nach der Einigung, dass es Schwarzenegger oder Reagan in Deutschland nicht geben könne („Parteikarriere zu schwierig“, „ganz andere Kultur“) wurde nur noch über Vermittlung von Realpolitik geredet. Der wissenschaftlich untermauerten These, dass „früher (!) schon nur 15 Prozent der Leute die ‚Tagesschau‘ verstanden“ haben (Andreas Dörner), stand die Menschenfreundlichkeit gegenüber, dass „die Leute nicht doof sind“ (Lothar Bisky). Was aber, wenn doch? Hilft dann „die Kompetenz“(Jörges), die sie so sehr „begehren“ (Bronfen)?