Der Tanz hat begonnen

Das Podewil sucht nach einem neuen Konzept. Die Tanzkuratoren Becker und Thériault fordern, es in ein Zentrum für Choreografie umzuwandeln. Zu Recht, denn Berlin braucht ein solches Haus

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Manchmal ist es das Vakuum, das die besten Ideen hervorbringt. „Wir müssten das Podewil besetzen. Chaos muss in das Haus“, denkt Thomas Lehmen laut, Performer und Konzeptkünstler, der viele seiner Stücke im Podewil erarbeitet hat. Er gehört zu den bisherigen Nutzern des Artist-in-Residence-Programms des Podewil, profitierte von Proberäumen und der Infrastruktur des Hauses. Jetzt steht ein Leitungswechsel im Podewil an und damit die Suche nach einem neuen Konzept. Eine Geschäftsführerin, Susanne Binas, ist seit 1. Februar im Amt. Sie ist aber nicht, wie der bisherige Leiter Willi Großmann, zugleich für die künstlerische Leitung des Podewils verantwortlich.

Das ist ein Moment, der große Begehrlichkeiten weckt. Für Ulrike Becker und André Thériault, Kuratoren für Tanz und Performance im Podewil, ist plötzlich alles offen. Das schlimmste Szenario: Die Tanzszene verliert diesen Ort und damit eine der besten Arbeitsmöglichkeiten für Recherche und Proben in der Stadt. Das beste Szenario: Die Umwandlung des Podewils in ein Zentrum für Choreografie und tanzverwandte Performancekünste; das wäre nicht nur eine Verdichtung und erhebliche Erweiterung ihrer bisherigen Arbeit, sondern auch ein Neuansatz in der Förderung des Tanzes.

Damit dieser Plan Wirklichkeit werden kann, haben sie ihr Konzept an den Kultursenat geschickt. Dass dort auch andere Pläne für das Podewil vorliegen, zum Beispiel mit dem Schwerpunkt Musik und Neue Medien, oder darüber, das alte Stadtpalais mehr für Kulturverwaltung zu nutzen, wissen sie. Aus dem Senat aber kommt noch keine Antwort, weil dort die Haushaltsberatungen einer Diskussion der Konzepte vorausgehen. Deshalb beginnen Ulrike Becker und André Thériault jetzt für ihre Idee zu werben. Damit ein Bewusstsein davon entsteht, welche Chance hier auf dem Spiel steht.

Warum Berlin ein solches Haus braucht, dafür sind die Argumente schnell gesammelt. Die Grenzen zwischen den Kunstformen Tanz, Performance und Theater haben sich verschoben, die Sprachen des Körpers und Konzepte der Choreografie sind in ihrer Bedeutung für das Theater gewachsen. Damit einher geht der Erfolg vieler Choreografen, die aus Berlin kommen und international eingeladen werden, wie Sasha Waltz, Thomas Lehmen, Xavier Le Roy.

Trotzdem verschlechtern sich die Infrastrukturen für den Tanz. Das Berlin Ballett kommt als fünftes Rad am Wagen der führerlos rumpelnden Opernreform nicht in Gang, und zu welchen Konditionen Sasha Waltz an der Schaubühne bleiben kann, ist weiter unsicher. Die Angst vor dem Verlust von Produktionsmöglichkeiten wächst auch noch auf einem anderen Hintergrund: Bundesweit spüren Tänzer und Choreografen, dass die Sparte Tanz immer weiter an den Rand gedrängt wird. Ihre Förderung steht oft zuerst zur Disposition. Davor schützt nicht mal der Ruhm eines Namens wie des Frankfurter Choreografen William Forsythe. Deshalb tut Agitation Not, aber bisher fehlt es dem Tanz an einer einfluss- und ideenreichen Lobby.

Thériault und Becker wissen, in welch diffusem Feld sie sich bewegen. Intern sind die beiden gut bekannt: Sie haben mit Nele Hertling zusammen das Festival Tanz im August aufgebaut, für das sie zusammen mit dem Hebbeltheater weiter verantwortlich sind. Dessen Finanzierung wurde durch den Hauptstadtkulturfonds übrigens erstmals in der fünfzehnjährigen Geschichte für drei Jahre abgesichert. Über lange Jahre bewiesen die beiden ihr gutes Auge für internationale Kontakte und produktive Kooperationen.

Für ihr Konzept ist das Podewil bestens ausgestattet: ein Tanzstudio, eine Probebühne, ein Theatersaal, fünf Künstlerateliers und weitere Arbeitsräume könnten für Proben, Archiv, gemeinsames Tourmanagement freier Projekte, für ein Archiv und Dokumentation, für Recherchen und Fortbildung genutzt werden. Selbst der bisherige Etat des Hauses wäre als Basis ein Ansatz, zu dem sie Drittmittel einwerben könnten. Probenräume fehlen allenthalben: Weder die Sophiensæle, noch das Hebbel am Ufer, die viel Tanz zeigen, können dafür kontinuierlich Räume zur Verfügung stellen. Bisher gleichen Probenprozesse oft einem Wanderzirkus, für Stunden mieten die Gruppen sich in wechselnden Räumen ein. Kooperationsbedarf ist da.

Doch das Podewil leidet an einer Altlast. Es ist durch seine bisherige Programmstruktur, zersplittert zwischen den Genres Literatur, Performance, Bildender Kunst und Musik, zu wenig öffentlich präsent. Die Umwandlung in „Podewil Studios“, in einen Produktionsort, will das Haus nicht zum Konkurrenten anderer Bühnen ausbauen, sondern die Infrastruktur stärken. Noch fehlt es an einer Idee, wie dies zugleich transparent werden kann. Als ob es nicht genügen würde, dass ein Haus Sinn macht; es muss der Politik auch als ein Label schmackhaft gemacht werden, das zum Imagegewinn beiträgt.