herr tietz macht einen weiten einwurf
: Wiehernde Luftratten

Fritz Tietz über die Rennpferde des kleinen Mannes, taube Nüsse, zugeschissene Ställe und Stolpes neue Einnahmequelle

Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Das Stiefkind der Sportberichterstattung ist zweifellos der Taubensport. Derart selten findet diese Sportart in der Fachpresse statt, dass selbst gewiefte Kollegen, sonst mit den bizarrsten Randerscheinungen ihres Ressorts vertraut, passen müssen, so man sie nach den aktuellen Taubensportereignissen befragt. Einer merkte gar auf eine entsprechende Anfrage an, er sei im Behindertensport leider nicht so firm, werde aber umgehend eruieren, was momentan im Gehörlosensport so läuft – und hat sich damit erst recht als fachlich taube Nuss erwiesen. Denn so wenig – sagen wir mal – Brennball etwas mit brennenden Bällen zu tun hat, so wenig ist der Tauben- ein Schwerhörigensport; was nicht heißt, dass ihn nicht auch Taube ausüben könnten. Sie können ihr Sportgerät bloß nicht gurren hören.

Oder muss man wiehern sagen, wenn Sporttauben gurren? Schließlich werden sie doch immer „Rennpferde des kleinen Mannes“ genannt. Zumindest in jeder Ruhrgebiets-Reportage ist das der hundertprozentige Fall. Als gäbe es einen entsprechenden Schrifttumskammer-Erlass. Kein Wunder, dass ich als Kind immer dachte, im Ruhrpott seien die Männer so klein, dass sie auf Tauben reiten können. Tatsächlich wurde im Pott die über 100-jährige Geschichte des Taubensports begründet. Der damals unter den kleinen Männern des Ruhrgebiets gleichzeitig sich ausbreitende Fußballsport war dabei ein entscheidender Geburtshelfer. Zur schnellen Übermittlung von Auswärtsspielergebnissen an die daheim gebliebenen Fans pflegte man nämlich Brieftauben einzusetzen. Aus dieser frühen Form der Konferenzschaltung hat sich der Taubenwettflug entwickelt, wie ihn heute bundesweit über 70.000 Taubensportler in knapp 8.500 Vereinen betreiben, deren Schläge von rund zehn Millionen Tieren zugeschissen werden. Doch auch im Ausland wird Taubensport getrieben, vor allem in England, USA, Südafrika und China, dessen Taubenkadern momentan allerdings die millionenfache Keulung droht: die Hühnergrippe. Gilt das Ruhrgebiet als Wiege des Taubensports, China könnte dessen Bahre sein.

Weitgehend unbeeinträchtigt von der dräuenden Grippe-Pandemie wurde noch letzte Woche im südafrikanischen Sun City der Welt höchst dotiertes Taubenrennen ausgetragen. Schnellster Vogel des „Million Dollar Race“ war der deutsche Tauber „Cisco“. Dessen Eigentümer aus dem mittelhessischen Lahntal strich 200.000 Dollar Siegprämie ein. Damit triumphierte bei der inoffizielen Tauben-WM bereits zum dritten Mal in acht Jahren ein deutscher Taubensportler. Und auch sonst dominierten die deutschen Luftratten mit 51 von 250 möglichen Siegen das 3.000 Tauben starke Feld. Die Sportpresse indes widmete diesem herausragenden Ereignis kaum eine Zeile.

Und auch dieses, die Taubensportler arg aufrüttelnde Forschungsergebnis des britischen Verhaltensforschers Tim Guilford versickerte weitgehend unbeachtet auf den Wissenschaftsseiten deutscher Zeitungen. Guilford hat nämlich herausgefunden, dass sich Sporttauben auf ihren Flügen in die Heimatschläge gern am Straßennetz orientieren. Bevor sie ihren eingebauten Kompass aktivierten, folgten sie lieber dem Verlauf von Autobahnen und nähmen dafür auch Umwege in Kauf, erklärte Guilford. Einzelne Vögel seien sogar an Kreuzungen abgebogen und einem Kreisverkehr nachgeflogen. Wer hier meint, schulterzuckend abwinken zu müssen, weil er sich ja schließlich auf seinen Reisen auch vorrangig am Straßennetz orientiert und daher die Aufregung um diese angebliche Sensation schwer nachvollziehen kann, ahnt nicht die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: So haben sich schon die ersten der mitgliederstarken deutschen Taubensportverbände für einen verstärkten Autobahnausbau ausgesprochen, damit ihren Tauben künftig unnötige Umwege erspart würden. Im Gegenzug hat Verkehrsminister Stolpe seine Mauthelden von Toll Collect angewiesen, die geplante Autobahngebühr auch den Taubensportlern aufzudrücken.

Da sage noch mal einer, der Taubensport sei kein Thema.