Krise ohne Management

Bei der Olympiasichtung der deutschen Bahnradfahrer empfehlen sich die Rebellen Daniel Becke und Jens Lehmann für den Vierer. Ob sie in diesem auch bei Olympia fahren, bleibt hingegen weiter offen

AUS FRANKFURT (ODER)FRANK KETTERER

Endlich hatte der Sport gesprochen, und was Daniel Becke dazu beizutragen hatte, war nicht wenig eindrucksvoll. 4:20,558 Minuten hatte der Radprofi aus Erfurt benötigt, um die 4.000 Meter auf dem hellen Holzoval der Frankfurter Oderlandhalle zurückzulegen. Damit lag Becke zum einen nicht nur unwesentlich über dem sechs Jahre alten Bahnrekord (4:19,68 Minuten), sondern war zum anderen auch an diesem Tag, den der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zur ersten Olympiasichtung ausgerufen hatte, eine Klasse für sich. Selbst seinem renommierten Konkurrenten im Finale, Einerverfolgungs-Olympiasieger Robert Bartko, knöpfte Becke über siebeneinhalb Sekunden ab. Im Bahnradsport sind das Welten.

Becke hatte also ein ziemlich mächtiges Wort gesprochen und war darüber „sehr zufrieden“. Dass der Tag doch nicht so verlief, wie er sich das erhofft hatte, lag an den Vorkommnissen nach seiner rasanten Fahrt: Der Erfurter war ganz offensichtlich davon ausgegangen, sich als Bester auch für den Weltcup dieses Wochenende in Moskau qualifiziert zu haben. Jedenfalls stand er schon bald nach dem Rennen mit Reisetrolley an der Hand bereit, um zum Flughafen nach Berlin aufzubrechen, von wo aus die deutsche Radsportdelegation noch am Abend in die russische Hauptstadt aufbrach. Die Maschine freilich hob ohne Daniel Becke ab, an seiner statt flog Robert Bartko zum Weltcup, was BDR-Präsidentin Sylvia Schenk ziemlich emotionslos kommentierte: „Es kommen ja noch drei Weltcups. Da wird Becke sicherlich eingesetzt.“

Dazu muss man zum einen wissen, dass sich die Bahnradsportler nur über die Weltcups für die WM und dort wiederum für die Olympischen Spiele qualifizieren können. Zum anderen ist nicht unwesentlich, dass Becke eigentlich beim Team Baleares in Lohn und Brot steht – als Straßenprofi. Für diese Woche samt Wochenende war er vom Team freigestellt worden, um sein Olympiaprojekt auf der Bahn vorantreiben zu können, in Zukunft dürfte sich das freilich weit schwieriger gestalten: Bei den nächsten Bahnrad-Weltcups in Mexiko (12.–14. März) und Manchester (16.–18. April) erwartet Beckes Arbeitgeber jedenfalls, dass er für ihn in die Pedale tritt, beim letzten Weltcup in Sydney (Ende März) steckt der Erfurter in der Vorbereitung auf die Tour de France. Becke sagt: „Da stellt sich generell die Frage, ob ich Olympia fahren kann.“ Das klingt sehr enttäuscht.

Sylvia Schenk sagt: „Entweder er will Olympia auf der Bahn fahren, oder er will es nicht.“ Das klingt sehr emotionslos; und so, als sei es der Präsidentin ziemlich gleichgültig, ob nächsten Sommer in Athen tatsächlich die besten deutschen Bahnradfahrer an den Start gehen, auch wenn sie das natürlich so nie sagen würde. Schenk sagt, dass Becke durchaus gewusst habe, dass die Mannschaft für Moskau bereits vor der Sichtung in Frankfurt nominiert worden sei: „Wir haben das seinem Rechtsanwalt mitgeteilt.“ Becke will davon nichts gewusst haben – und beruft sich auf die Nominierungskriterien des BDR, die eine Nominierung für Moskau erst nach der Sichtung von Frankfurt vorgesehen hätten.

Dass Präsidentin und Sportler überhaupt via Anwalt verkehren, hat seinen Ursprung in der letzten Weltmeisterschaft im vorigen Sommer. Auch damals waren es offensichtlich unklare Nominierungskriterien, die am Ende zur Absage des Vierers führten – und schließlich zum Eklat. Im Zentrum des Skandals: die Viererolympiasieger Becke und Jens Lehmann, die sich vom BDR übers Ohr gehauen fühlten – und infolgedessen einen Start mit den Berlinern Robert Bartko und Guido Fulst abgelehnt hatten. Beide, Becke und Lehmann, wurden zunächst für zwei Jahre von der Nationalmannschaft suspendiert – ihnen wurde damit auch die Chance auf einen Olympiastart in Athen genommen –, später wurden sie wieder begnadigt. Offiziell geschah das laut BDR, um sich wieder „auf sportliche Erfolge konzentrieren zu können“, inoffiziell, so wurde in der Szene gemunkelt, habe der Verband Regressansprüche der beiden Fahrer befürchtet.

Auf jeden Fall, das hat die Sichtung in Frankfurt gezeigt, scheinen die Verbandsverantwortlichen wenig aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben, sonst hätte es nun kaum erneut Zoff um eine Nominierung geben können. Auch was die Aufarbeitung des Stuttgarter Eklats angeht, machen die BDR-Oberen nicht gerade eine glückliche Figur – und noch weniger glückliche Bemerkungen. So fiel Sportdirektor Burckhard Bremer schon unlängst durch seine Einlassung auf, er plädiere für den „Aufbau eines neuen Vierers“ und würde dafür gar „auf Erfolg verzichten“, zum Beispiel bei Olympia. In Frankfurt nun wertete er den ersten Auftritt von Viererolympiasieger Jens Lehmann als Beweis, dass der 36-Jährige seinen „Zenit überschritten“ habe. Dass Lehmann im kleinen Finale in 4:27,657 Minuten die drittbeste Zeit des Tages fuhr, ist in der Tat peinlich – für Bremer.

Bei solch verheerendem Krisenmanagement an der Spitze ist nicht weiter verwunderlich, dass auch die beiden zerstrittenen Fahrerparteien – Bartko/Fulst auf der einen, Becke/Lehmann auf der anderen Seite – sich nach wie vor nicht ausgesöhnt haben. Zumindest prinzipielle Bereitschaft zu klärenden Gesprächen haben die vier nun signalisiert. Schon Ende des Monats soll es zu einer vom Verband angeregten Mediation kommen. Dort wird sich wohl entscheiden, ob tatsächlich der stärkste Vierer nach Athen fährt.